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frings. das misereor-magazin 1 / 2022

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Rechte der Natur: Ein Heft über das Leben in Harmonie mit der Umwelt www.misereor.de/magazin

Patricia Gualinga,

Patricia Gualinga, Mitbegründerin der Frauen Amazoniens, lässt ihr Gesicht von Kerly auf traditionelle Weise bemalen Beim Einsatz für Naturrechte spielen auch Weltbilder indigener Völker eine Rolle. Patricia Gualinga über das Prinzip des ‚Guten Lebens‘ der Sarayaku aus dem Amazonas. Die Verfassung in Ecuador schützt das ‚Gute Leben‘. Was verbirgt sich hinter diesem Prinzip? Patricia Gualinga: Mit ‚Buen Vivir‘ wie es auf Spanisch heißt, oder ‚Sumak Kawsay‘ in unserer Sprache, ist ein Leben in Harmonie gemeint. Das Prinzip stammt aus dem tradierten Wissen indigener Völker und bedeutet, dass die Erde keinen Schaden nehmen darf. Ein ‚Gutes Leben‘ ist demnach das Gegenteil von Verschmutzung oder Umweltzerstörung. Es beinhaltet, dass Familien im Gleichgewicht mit ihrer Umwelt leben, dass sie gesund sind, ausreichend Nahrung haben, ihre Kultur pflegen und ein sicheres Zuhause haben. In Sarayaku, wo ich aufgewachsen bin, können wir dieses ‚Gute Leben‘ noch führen, denn wir entnehmen der Natur nicht mehr, als sie vertragen kann. Wie machen Sie das? Wir verbinden das ‚Gute Leben‘ eng mit der sozialen Frage. Die Erde ist Wir verbinden das ‚Gute Leben‘ eng mit der sozialen Frage unser gemeinsames Zuhause. Nach dem Wissen unserer Ahnen ist sie von unsichtbaren Fäden durchwoben, die das Gleichgewicht des Planeten aufrechterhalten. Es gibt also andere Wesen, die den Wald und das Leben schützen. Unser Prinzip ‚Kawsak Sacha‘ – lebendiger Wald – geht davon aus, dass die Natur ein lebendiges, bewusstes Wesen ist, das eigene Rechte hat. Jedes Lebewesen, ob Flüsse, Pflanzen oder Mineralien, besitzt die gleichen Rechte. Genau das ist in der ecuadorianischen Verfassung verankert. Jetzt muss dieses Recht endlich umgesetzt werden, und zwar auf globaler Ebene. Für diesen Wandel setzen wir uns ein. Wie soll das in industrialisierten Ländern funktionieren? Natürlich ist ein nachhaltiges Leben in New York schwieriger umzusetzen als in Sarayaku. Aber wenn die Menschheit so weiter macht wie bisher, zerstört sie ihre Lebensgrundlagen. Es ist Zeit für eine neue Perspektive. Beim ‚Guten Leben‘ geht es nicht darum, Reichtum anzuhäufen, sondern im Einklang mit der Natur zu leben, um den Planeten im Gleichgewicht zu halten und gemeinsam für das Wohl aller einzutreten. Das erkennt mittlerweile auch die Weltgemeinschaft. Aber sie handelt nicht. Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren. Den Diskussionen um Klimawandel, Energiewende und Nachhaltigkeit müssen Taten folgen, jetzt. Der ecuadorianische Staat verstößt gegen seine eigene Verfassung, indem er neue Konzessionen für Erdöl, Bergbau oder Abholzung vergibt. Schluss damit! Wie kann es sein, dass die Profite der Wirtschaft mehr zählen als das Wohlergehen der Menschen? Der Amazonas ist die Lunge der Erde. Wenn er stirbt, stirbt die gesamte Menschheit. Wir sind alle Natur und miteinander verbunden. Bedeutet das ‚Gute Leben‘ Armut für alle? Bei uns in Sarayaku gibt es Armut nur in Zusammenhang mit Naturkatastrophen oder Umweltzerstörung. Normalerweise sind wir nicht arm, denn wir haben alles, was wir zum Leben brauchen. Aber vor zwei Jahren kam es durch die Klimakrise zu verheerenden Überschwemmungen. Die Wassermassen rissen unsere Häuser und Felder weg. Wir wurden arm, weil unsere Ernährungsgrundlage vernichtet war. Das gleiche droht uns, wenn Erdöl-, Bergbau- oder Energiekonzerne unsere Wälder abholzen. Deshalb kämpfen wir für den Schutz des Regenwaldes. 16 EINS2022 Das Gespräch führte Constanze Bandowski

Fortsetzung von Seite 14 Kawsak Sacha – der lebendige Wald Die Menschen aus Sarayaku im Amazonasgebiet von Ecuador haben der Welt 2018 ihre Antwort auf die Zerstörung des Planeten gegeben: ‚Kawsak Sacha‘ – der ‚lebendige Wald‘ ist ein ganzheitliches Konzept zum Schutz der Natur. Es betrachtet den Regenwald als lebendiges Wesen mit einem eigenen Bewusstsein, das sich aus allen Teilen des Waldes zusammensetzt. Alle Wasserfälle, Seen, Sümpfe, Bäume, Berge oder Flüsse sind von Schutzwesen besiedelt. Diese führen ein Eigenleben und besitzen ihre eigenen Rechte. Alles ist miteinander verbunden, der Mensch ein kleiner Teil des großen Ganzen. Ohne Respekt vor der Natur und ihren Rechten richtet die Menschheit sich und die Erde zugrunde. Das Wissen um das natürliche Gleichgewicht des Universums und die Harmonie des Lebens hüten die Schamanen und Weisen. Die jungen Sarayakus tragen die Idee des lebendigen Waldes auf digitalen Wegen und durch Filme in die Welt hinaus. Allen voran der Dokumentarfilmer Eriberto Gualinga. Der jüngste Bruder von Patricia Gualinga hält den Kampf Sarayakus gegen das Eindringen von Erdöl- und Bergbaukonzernen seit seiner Jugend fest. In seinem aktuellen Werk „Helena aus Sarayaku“ porträtiert er seine 17-jährige Nichte Helena. Ihr Vater ist Schwede. Sie lebt zwischen den Welten, spricht mehrere Sprachen und ist eine ideale Botschafterin für das ‚Kawsak Sacha‘ auf internationalem Parkett. „Helena aus Sarayaku“ zeigt, wie ein nachhaltiges Lebenskonzept überall auf der Welt inspirieren kann. MISEREOR hat die Filmproduktion gefördert. Straßen treiben Siedler, Abenteurer und Rohstoffkonzerne in den Amazonas Patricia Gualinga spricht online auf einem Panel des UN-Forums zu Wirtschaft und Menschenrechten Der Gerichtshof gab den Indigenen vor zehn Jahren Recht. Der Staat zahlte 1,3 Millionen US-Dollar Entschädigung. Damit gründete das Dorf unter anderem eine kleine Fluggesellschaft, um Menschen im Notfall ausfliegen zu können und das Reisen nach Quito und zu internationalen Klimakonferenzen zu erleichtern. Auch die Tourismusagentur der Gemeinde nutzt die beiden Cessnas, um Interessierten das nachhaltige Leben im Einklang mit der Natur zu vermitteln. „Die Zeit drängt“, sagt die Verteidigerin des Regenwaldes, die vor allem die heimischen Orchideen und Schildkröten liebt. Dank Satelliteninternet, Fotovoltaik und starken Batterien kann Patricia Gualinga ihre Botschaften mitten aus dem Regenwald in die Welt hinaustragen. „Lasst uns die Natur respektieren, sonst sind wir verloren“, sagt sie. Dann klappt sie ihren Laptop für die nächste Videokonferenz auf. Constanze Bandowski beschäftigt sich als freie Journalistin vor allem mit Themen der Einen Welt. Vieles davon ist mit Rechten verbunden: dem Recht auf Bildung, dem Recht auf Arbeit, auf gesunde Ernährung, Gleichstellung, Wohnen, Wasser, Gesundheit oder Menstruationshygiene. Mit dem Klimawandel rücken auch die Rechte der Natur immer stärker in den Blick. EINS2022 17

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