Sie sagten eingangs, der Natur Rechte zu geben, sei nichts anderes als eine Form der Selbstbegrenzung. Genau. Das Paradoxe daran ist, dass wir aktiv anerkennen, dass uns durch natürliche Entitäten Grenzen gesetzt werden. Wenn das passiert ist, dann können diese nicht-menschlichen Einzusetzen. Unter Juristinnen und Juristen gibt es längst eine Debatte darüber. In Deutschland hat zum Beispiel der Verfassungsrechtler Jens Kersten von der LMU München vorgeschlagen, einen Satz ins Grundgesetz aufzunehmen, der ganz schlicht lauten könnte: Die Rechte der Natur sind zu achten und zu schützen. Wenn das tatsächlich ins Grundgesetz aufgenommen würde, hätte das massive Konsequenzen. Könnte mit Naturrechten künftig jeder Windpark verhindert werden? Das ist zwar im Prinzip denkbar, aber die hauptsächliche Konsequenz wäre, ein Prinzip des Ausgleichs einzuführen. Das Prinzip Rechte heißt nicht, dass etwas unantastbar wird. Wenn ich jemandes Eigentum nutze, dann kostet das – so funktioniert das unter Menschen. Wenn die Natur sich selbst gehört, dann ist sie künftig keine Ressource mehr, die jedem frei zur Verfügung steht. Die Landschaft, in der Windräder stehen sollen, ist dann nicht mehr nach Gutdünken zu bebauen, sondern das Ökosystem dort, die Pflanzen, die Tiere, hätten gewissermaßen Rechtsansprüche und müssten entschädigt werden, indem der Landschaftsschwund kompensiert wird. Muss die Natur ins Grundgesetz, um zu ihrem Recht zu kommen? Nicht unbedingt. Man kann auch über strategische Gerichtsverfahren versuchen, diese Rechte indirekt durchzusetzen. Es gibt einen berühmten Prozess von 1988, es ging um die Verklappung von Abwässern in die Nordsee, die deutschen Unternehmen jahrelang gestattet wurde und zum Tod von Hunderten von Robben führte. Und so kam es zu der Idee, die Robben selbst müssten das für die giftigen Abfälle zuständige Verkehrsministerium verklagen. Die Klage wurde abgewiesen, weil Robben in den 1980er Jahren noch zu den Sachen zählten. Dieser Fall wäre heute nicht mehr so chancenlos, da hat sich die Rechtslandschaft deutlich verändert, sodass solche Präzedenzfälle vermutlich in den nächsten Jahren kommen werden. Die Rechtswissenschaft ist mittlerweile recht offen dafür, solche Ideen zu durchdenken heiten oder Ganzheiten, beispielsweise Ökosysteme, als Grenzsetzer auftreten. Im Mittelalter gab es solche moralischen Grenzen bereits, sie wurden zum Beispiel durch die Todsünden markiert, zu denen auch die Habgier gehörte. Geht das in die Richtung? Ja. Soziologisch hat Religion immer auch die Rolle, menschlichem Verhalten wie Habgier, Ignoranz oder Selbstüberschätzung Grenzen zu setzen. Im Grunde sind diese Versuche, der Natur Rechte zu geben, auch ein Ansatz, sich aus menschlicher Einsicht selbst zu begrenzen. Und dem Recht Funktionen zu übertragen, die traditionell die Religionen innehatten. Wäre es leichter, Menschen mit Hilfe von Naturrechten zu vertreiben? Das wird ja schon im Namen des Natur- Hätten Rechte der Natur die Abholzung des Hambacher Forstes verhindern können? Eindeutig, ja. Ich wüsste nicht, an welcher Stelle es da Zweifel geben sollte. Hier wären tatsächlich wirtschaftliche Interessen in Grenzen gewiesen worden. Denn hier hat das Eigentumsargument andere Argumente getoppt, den Wald zu erhalten. Foto: Joern Siegroth via Getty Images Wenn die Natur sich selbst gehört, dann ist sie künftig keine Ressource mehr, die jedem frei zur Verfügung steht 20 EINS2022
schutzes gemacht, etwa im Virunga- Nationalpark in Kenia. Es kommt darauf an, wie diese Rechte konkret ausgestaltet werden. Deshalb können wir nie ganz sicher sein vor Fehlentwicklungen. Aber in Ecuador oder Neuseeland, wo diese Idee der Naturrechte bereits verankert ist, gibt es keine Zweiteilung „Hier Mensch, dort Natur“, sondern die Bevölkerungen gehen dort von einer Verwobenheit des Menschen mit seiner Umgebung aus – und umgekehrt. Das bedeutet auch, dass man sich Natur nie ganz ohne Menschen vorstellt. Könnten Naturrechte eine neue Form des Kolonialismus sein? Ich denke, es ist eher umgekehrt. Es ist eine Bewegung, die im Globalen Süden bestimmte westliche Vorstellungen, etwa über die Rolle des Menschen und der Natur, zurückgewiesen hat und Macht und Instrumente aufbaut, um die ausbeuterischen Interessen des Globalen Nordens zu begrenzen. Natürlich wird umgekehrt immer wieder aus machtpolitischen Gründen so getan, als könnte man dem Westen diese Kolonialität vorhalten. Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro etwa behauptet, unter dem Deckmantel des Umweltschutzes solle der Regenwald den westlichen und nördlichen Interessen preisgegeben werden. Die Brasilianer sollten selbst entscheiden, was damit passiere, also dürfe der Regenwald abgeholzt und abgebrannt werden. Das ist eine perfide Instrumentalisierung des Kolonialismus-Vorwurfs. Rechte der Natur, das bedeute eine neue Symmetrie zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren, sagen Sie. Diese neue Symmetrie brauchen wir für unser Ich gehe davon aus, dass diese Bewegung durch Gerichtsurteile vorangetrieben wird Naturrechte erkennen die Verwobenheit des Menschen mit seiner Umgebung an und sind ein Ausdruck dafür Überleben, weil es angesichts von Artensterben und Klimakrise wichtig ist, dass wir uns Grenzen setzen. Interessanterweise ist auch das wieder paradox. Wir brauchen diese externen Grenzen auch für uns selbst, es ist ein Motiv der Klugheit und durchaus auch des Eigennutzes. Und andererseits würde durch Naturrechte auch ein moralisches Empfinden anerkannt werden, das viele Menschen in sich haben, weil sie intuitiv wissen: Natur hat einen Eigenwert, sie ist nicht nur dazu da, mir als Ressource zur Verfügung zu stehen. Das konnte bisher noch nicht gut artikuliert werden. Wie sieht es mit den Rechten der Natur in fünf Jahren aus? Ich gehe davon aus, dass die Bewegung durch einige Gerichtsurteile vorangetrieben wird und wir in fünf Jahren vielleicht schon in einer breiten Debatte darüber sind, auch in den Parteien, diese Rechte in einem Verfassungszusatz zu verankern. Frank Adloff lehrt als Professor für Soziologie an der Universität Hamburg und ist dort Co-Direktor der DFG-Kolleg-Forschungsgruppe „Zukünfte der Nachhaltigkeit“. Er ist Mitherausgeber und einer der Autoren des aktuell erschienenen Sammelbandes „Welche Rechte braucht die Natur?“ (Campus Verlag). Er lebt mit seiner Familie in Hamburg. Dominik Butzmann lebt mit seiner Familie in Berlin und arbeitet als Fotograf mit den Schwerpunkten Portrait und Reportage. Seit über 20 Jahren begleitet er mit seinen Bildern das Entstehen der „Berliner Republik“. Zu seinen Auftraggebern gehören neben nationalen und internationalen Magazinen und Zeitungen auch Parteien, Ministerien und Verbände. EINS2022 21
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