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frings. das misereor-magazin 1 / 2022

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Rechte der Natur: Ein Heft über das Leben in Harmonie mit der Umwelt www.misereor.de/magazin

Supermarkt,

Supermarkt, Obstabteilung, das Kilo Bananen für 88 Cent, im Biomarkt nebenan sind es 3,49 Euro. Gut, die sind wohl gesünder, womöglich auch noch Fairtrade, aber der fast vierfache Preis? Oder drei Hähnchen aus polnischen Mastfabriken: zehn Euro; im Bioladen kostet ein einzelnes Hühnchen mindestens 20 Euro. Bio-Lebensmittel kosten mehr, das ist richtig, doch konventionelle Lebensmittel sind ebenfalls teuer: Sie kosten sogar noch mehr, doch das machen sich nur wenige klar. Die Preistreiber sind die versteckten indirekten Kosten, die bei der Herstellung Bioanbau und Fairtrade werden ökonomisch bestraft, obwohl sie weniger Folgeschäden anrichten entstehen. Dazu gehören massive Schäden durch hohe Gaben an Kunstdünger, verseuchte Böden, Meere und Grundwässer, Vernichtung der Artenvielfalt – nicht existenzsichernde Löhne und Kinderarbeit inklusive. Transport-Emissionen und großzügig eingesetzte Kunststoffverpackungen, die sich als Mikroplastik längst über die gesamte Erde verteilt haben, kommen dazu. Kurzum: Die Warenkosten sind bei weitem nicht die wahren Kosten. Und die Reparatur der vielfältigen Schäden kostet – aber nicht die Erzeuger und Konsumenten, sondern indirekt alle Menschen, überall auf der Welt. Man spricht von externalisierten Kosten; sie werden nicht gerechnet und bleiben unberücksichtigt in der Bilanz. „Eine starke Wettbewerbsverzerrung und ein Fall von Marktversagen“, sagt MISEREOR-Referent Markus Wolter. Bioanbau und Fairtrade werden ökonomisch bestraft, obwohl sie meist deutlich weniger Schäden anrichten. Denn diese Produkte sind im Laden teurer und werden daher weniger nachgefragt. Wie sehr die Umweltfolgen die Allgemeinheit belasten, wird seit den 1970er Jahren diskutiert. Wie diese Kosten konkret aussehen, will die „True Cost Initiative“ transparent machen. Beteiligt sind unter anderem Wissenschaftler der Universität Augsburg, die GEPA, die GLS Bank, der US-Wirtschaftsprüfer-Gigant Solange nicht die Kosten für nachlassende Bodenfruchtbarkeit, den Verlust der Biodiversität oder den Klima-Fußabdruck mitkalkuliert werden, sind alle Preise falsch. Ernst & Young, der Bio Babykost-Hersteller HiPP und MISEREOR. Und die Firma Eosta in Waddingxveen nahe Gouda in Holland. Ein moderner Industriebau, zwei riesige Hallen, meterhoch gestapelte Obst- und Gemüsekisten, Gabelstapler fahren Paletten im Akkord. Eosta ist Europas größter Importeur von tropischen Bio-Früchten: Mango, Avocado, Ananas, Passionsfrucht. Allein über 20 Tonnen Ingwer werden pro Tag umgeschlagen. Eosta beliefert auch Supermarktketten, gerade werden für Kaufland in Deutschland Avocados in einen Lkw verladen. Ohne Plastikverpackung übrigens, das Bio-Logo wird auf die Avocado- Schale gelasert. Die Geschäfte von Eosta laufen gut, daran lässt Gründer und Geschäftsführer Volkert Engelsman, 64, keinen Zweifel. „Aber unsere Bedeutung am Markt liegt nicht darin, erfolgreich Avocados und Ingwer zu verkaufen, sondern in unserer Vordenkerrolle.“ Eosta ist Vordenker für eine gerechtere Preisberechnung. Die beginnt, noch vor allen ökologischen Schäden bei der Produktion, mit der sozialen Seite. Volkert Engelsman gibt ein firmeninternes Rechenbeispiel: „Wenn du vergleichst, was ein Plantagenarbeiter als ‚living wage‘ bekommen müsste, also als Existenzminimum für die Familie, macht das im Einkaufspreis in Burkina Faso zehn Cent pro Kilo Mangos aus. Wir zahlen das, andere nicht.“ Skandinavische Einzelhändler, erzählt Engelsman, würden das manchmal getrennt auspreisen: Mango nur bio oder zusätzlich mit existenzsicherndem Lohn. Ob nur die zusätzlichen Kosten, im Beispiel die erwähnten zehn Cent, auf den Ladenpreis dazukommen oder noch eine zusätzliche Handelsspanne, ist Sache der Verkäufer. Das Bio-Logo der Avocados wird bei Eosta auf handelsmodell auf vorsätzlichen Besteht denn das übliche Welt- die Schale gelasert und Lügen, Herr Engelsman? „Ja“, sagt kommt daher ohne jedes er, „Punkt“, und macht eine Plastik aus kurze Pause. Solange nicht „die Kosten für nachlassende Bodenfruchtbarkeit, den Verlust der Biodiversität oder den Klima-Fußabdruck“ mitkalkuliert werden, seien alle Preise 28 EINS2022

„Wir verlieren 30 Fußballfelder an fruchtbaren landwirtschaftlichen Böden pro Minute als Folge von intensiver Landwirtschaft und Viehhaltung. Wer soll das bezahlen?“ Volkert Engelsman Heute gilt ein Unternehmen als gesund, wenn es Kosten für Umwelt und Mitmenschen mitberücksichtigt und trotzdem noch Gewinn macht falsch. „Früher galt es, sich rücksichtslos durchzusetzen: Ich verdiene etwas, auf wessen Kosten ist mir völlig egal, ob Konkurrenten verlieren oder die Erde oder die Menschheit. Heute gilt ein Unternehmen als gesund, wenn es Kosten für Umwelt und Mitmenschen mitberücksichtigt und trotzdem noch Gewinn macht. Profit ist wichtig für mich als Unternehmer, die Hauptsache sogar. Aber nur mit Blick auf das Wohlergehen aller.“ Hehre Worte? Vielleicht, aber mit altem Denken komme man heute nicht mehr so leicht davon, sagt Engelsman. Das Einpreisen der Schadensreparaturen brauche entsprechende Gesetze, politischen Willen vorausgesetzt. Volkert Engelsman ist Gründer und Geschäftsführer von Eosta, Europas größtem Importeur von tropischen Bio-Früchten Das werde Jahre dauern. Aber: Märkte reagieren sehr sensibel auf Zukunftserwartungen. Und so kommen heute schon unerwartete Akteure ins Spiel: „Banken machen längst Klimastresstests. Die sagen: Dein Gewinn lag bei Faktor 1.000, dein Fußabdruck beträgt 400, dann finanzieren wir langfristig nur auf Grundlage von 600, weil es wahrscheinlich bald entsprechende Abgaben gibt. Sonst gehst du aus diesem Grund insolvent und unser Geld ist weg. Oder die Banken fragen: Bist du informiert über die Löhne in deiner Wertschöpfungskette? Das ist unwiderruflich der Trend.“ Versicherer, so Engelsman, dächten erst recht so. Auch große Wirtschaftsprüfer wie PricewaterhouseCoopers oder KPMG berücksichtigen im Risikoprofil zunehmend Nachhal- EINS2022 29

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