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frings. Das Misereor-Magazin 1/2023: Wofür es sich zu kämpfen lohnt.

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Wofür es sich zu kämpfen lohnt: Ein Heft über Demokratie und Menschenrechte. www.misereor.de/magazin

In Kyakatemba kreuzen

In Kyakatemba kreuzen sich zwei Pipelines: Die Häuser mit dem roten Kreuz werden abgerissen „Ich habe wirklich Angst. Was ist, wenn die Pipeline leckt?“ Karte: Wikipedia Bauer hatte Glück: „Ich habe noch immer genug Land übrig, damit es für meine Familie zum Leben reicht“, sagt er und zeigt auf seine Frau, seine älteste Tochter und die beiden Enkelkinder, die vor seiner Hütte Kartoffeln schälen. Immerhin: Für das markierte Land habe er im Jahr 2020 Entschädigung erhalten. Dafür habe ihm die Regierung ein Bankkonto eröffnet, wo die Summe einbezahlt wurde, berichtet er. Wie viel es war, will er nicht sagen. „Ich war glücklich, dass ich überhaupt etwas bekommen habe“, sagt er. Von dem Geld habe er seinem ältesten Sohn woanders ein Stück Land gekauft. „Er lebt jetzt mit den Enkeln weit weg“, sagt Tutyatemba traurig. Das Pipelineprojekt habe seine Familie und seine Gemeinde auseinandergerissen. Der Mann mit dem karierten Hemd zeigt mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf ein unverputztes Haus auf dem Grundstück nebenan. An dessen Holztür prangt ein Kreuz, gesprüht mit roter Farbe. Die Markierung, dass es abgerissen werden soll: „Fast alle meine Nachbarn mussten wegziehen“, berichtet Tutyatemba betrübt. Es werde nun einsam hier in der Gegend. Nur die Gräber der toten Angehörigen, die in den Gärten beerdigt wurden, seien noch übrig. So wie Tutyatembas Nachbar*innen ging es vielen Leuten in der Gegend. Nur wenige Kilometer entfernt stehen Schaufelbagger am Wegrand. Planierraupen ebnen eine Schneise durch die hügelige Landschaft: Hier entsteht eine neue Schnellstraße, die von der Stadt Hoima mit den Bürogebäuden, Hotels und Konferenzsälen bis zum neu geplanten, 40 Kilometer westlich gelegenen Industriepark mit dem Flughafen führen soll. 30 Quadratkilometer Land hat die Regierung hierfür bereitstellen müssen, 13 Dörfer mit über 7.000 Einwohner*innen mussten dafür weichen. Sie wurden vor die Wahl gestellt: entweder Entschädigungszahlungen auf ein Konto oder ein neues Haus mit einem Acker woanders. „Es war keine leichte Entscheidung“, erinnert sich Innocent Tumwebaze an das Jahr 2013, als die Regierungsvertreter in Begleitung von fünf bewaffneten Polizisten auch in seinem Dorf Nyahaira aufgeschlagen waren. Sie begutachteten jedes Haus, jeden Acker, jeden Ziegenstall. Die Zahlen der Bäume, der Hühner, der Maisstängel wurden aufgelistet. All das sollte entschädigt werden – denn alles musste weg. Wo damals noch Tumwebazes Elternhaus stand, wird heute die über drei Kilometer lange Landebahn asphaltiert. „Von Anfang an machten Gerüchte den Umlauf, dass sie uns nach Karamoja umsiedeln“, erzählt der heute 30-jährige Mann, der als einer der wenigen aus seinem Dorf einen Studienabschluss hat. Die Bäuerinnen und Bauern hätten Angst bekommen, denn die wüstenartige karge Region Karamoja im äußersten Nordosten ist berüchtigt für Dürre, Hunger und Konflikte. „Deswegen haben sich viele für die Bargeldzahlungen entschieden“, berichtet Tumwebaze. Er selbst hatte sich zunächst auch für Geld entschieden. „Doch als die Regierungsvertreter mir im Dokument zeigten, was als Entschädigungssumme errechnet wurde, war ich entsetzt“, sagt er. Er habe sein Haus für umgerechnet rund 200 Euro gebaut, doch sie wollten nur rund 70 Euro dafür ausbezahlen. „Da habe ich meine Entscheidung geändert“, sagt er. Zur selben Zeit begannen Nichtregierungsorganisationen wie die Caritas mit ihrer lokalen Entwicklungsorganisation HOCADEO (Hoima Caritas Entwicklungsorganisation), die auch aus Deutschland gefördert wird, die Leute in den betroffenen Gebieten über ihre Rechte aufzuklären – auch darüber, wie sie die Entscheidungen vor Gericht anfechten können. 12 EINS2023 Die neue Straße zum Kabaale International Airport reißt tiefe Furchen in die Landschaft

Leonidus Tutyatemba zeigt auf seinem Acker die Markierung, wo die Pipeline verlaufen soll die Gemeinde auseinandergerissen Dies hat den damals 24-jährigen Studenten Tumwebaze ermutigt, im Jahr 2014 den Betroffenenverband ORRAUG (Verband der Anwohner der Öl-Raffinerie) zu gründen. Gemeinsam zogen sie 2014 gegen Ugandas Regierung vor Gericht, um die Zahlungen anzufechten. Bis heute zieht sich das Verfahren hin. Mitte Februar wurde der Prozess erneut vertagt, der Richter war nicht anwesend. „Von Anfang an hat sich alles verzögert“, erinnert sich Tumwebaze. Während er von 2014 an auf das Umsiedelungsprogramm wartete, bekamen seine Nachbarn und Familie bereits ihr Geld auf das Konto. Das Pipeline- „Von da an begannen die Konflikte“, erinnert er sich. Da die projekt hat Konten in der Regel auf den Mann registriert wurden, machten sich viele Ehemänner mit dem Geld aus dem Staub oder investierten es falsch“, erklärt er als Beispiel. Viele Familien zogen weg. Plötzlich saßen nur noch wenige Kinder im Klassenzimmer. „Deswegen machte die Schule irgendwann dicht, auch die Gesundheitsstation.“ Von da an lungerten die Kinder tatenlos in den Dörfern herum. Die Folge, so Tumwebaze: Viele Mädchen wurden schwanger, die Jungs begannen zu trinken oder kriminell zu werden. Heute sitzt der junge Mann im blauen Polo-Shirt mit dem Logo seines Verbandes auf der Brust im Büro seiner Organisation in einem kleinen, schmucken Haus in der Siedlung Kyakabooga, 70 Kilometer von seinem Heimatdorf entfernt. Wie eine künstliche Reihenhaussiedlung inmitten einer kargen Landschaft wirkt der Ort, am Ende eines holprigen, schmalen Trampelpfades. Die rund 50 Häuser, die alle gleich aussehen, stehen dicht an dicht. Rund 1.000 Men- EINS2023 13

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