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frings. Das Misereor-Magazin 1/2023: Wofür es sich zu kämpfen lohnt.

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Wofür es sich zu kämpfen lohnt: Ein Heft über Demokratie und Menschenrechte. www.misereor.de/magazin

Die Pipeline Es ist die

Die Pipeline Es ist die längste beheizte Öl-Pipeline der Welt mit rund 1.400 Kilometern: Sie soll von den Ölfeldern am Albert-See im Westen Ugandas bis an den tansanischen Hafen Tanga am Indischen Ozean führen. Das in Westuganda entdeckte Rohöl ist extrem zähflüssig. Damit es durch die Pipeline fließt, muss die Röhre ständig auf 50 Grad Celsius erhitzt werden. Ugandas Regierung hat in den vergangenen Jahren in zahlreiche Staudammprojekte am Nil investiert, um mehr Energie zu erzeugen. Viele Dörfer entlang der Pipeline haben noch immer keinen Zugang zu Strom, während die Pipeline nun die Energiereserven weiter dezimiert. Gespeist wird die Pipeline von zwei großen Öl-Feldern am Albert-See: Das Kingfisher Ölfeld, das von der chinesischen Staatsfirma CNOOC erkundet wird, sowie das Tilenga Ölfeld, teilweise im Murchison-Falls-Nationalpark, das von der französischen Firma Total Energies erkundet wird. Über 400 Bohrtürme sollen dort errichtet werden, 130 davon im Naturschutzgebiet. Die Gesamtkosten belaufen sich nach aktuellen Schätzungen auf rund vier bis fünf Milliarden US-Dollar. schen wurden 2018 hierher umgesiedelt, sie leben nun dicht gedrängt. Die Außentoiletten sind direkt neben den Außenküchen. Fliegen summen umher. Dazwischen spielen unzählige Kinder im Unrat. Es wächst kein einziger Baum und kaum ein Grashalm. Vier Jahre haben die meisten gewartet, bis sie 2018 endlich hier einziehen konnten. „Als wir hier ankamen, waren wir alle geschockt“, berichtet er. „Damals gab es keine Schule, keine Kirche, keinen Gemeindesaal, keine Gesundheitsstation, ja nicht einmal einen Brunnen“, erinnert er sich. „Auch die Häuser waren nicht alle fertig“, sagt Tumwebaze und zeigt aus dem Fenster. „Der Boden ist nicht sehr fruchtbar, die Äcker liegen weit entfernt und zur nächsten Wasserquelle müssen wir über eine Stunde laufen“, seufzt der junge Mann. Tumwebaze ist einer von zwölf Klägern, die Total Energies 13 Dörfer mit über 7.000 Menschen mussten weichen Innocent Tumwembaze hat den Verband der von der Ölraffinerie Betroffenen, ORAUG, mitbegründet in Paris vor Gericht verklagt haben: wegen Nichteinhaltung der Sozial- „Wir sind mit standards und Verzögerung der Kompensations- unseren Problemen zahlungen. Die Klage wurde Ende Februar abgewie- nicht alleine.“ sen. Von Anfang an habe es unter den neuen Nachbarn Konflikte gegeben. Bis heute gebe es viele Diebstähle, sexuelle Übergriffe, Gewalt. Immerhin: Im vergangenen Jahr erhielten die Anwohner*innen ihre Grundbücher, sie sind nun legale Eigentümer*innen. Doch von den ursprünglich 1.000 Menschen seien bereits viele wieder weggezogen. Auch er habe seine Tochter zu Verwandten nach Hoima geschickt, wo sie nun zur Schule gehe, berichtet er. Doch er selbst habe hier einen Grund gefunden, wofür es sich zu kämpfen lohnt, so sagt er und erzählt vom Besuch einer Delegation aus Nigeria im vergangenen Jahr, deren Heimatdörfer durch die Öl-Projekte im berüchtigten Nigerdelta verseucht und dadurch unbewohnbar wurden. „Wir müssen deswegen dafür kämpfen, dass es hier nicht so weit kommt“, nickt er und berichtet von seinem Besuch im November 2022 auf der globalen UN-Klimakonferenz in Ägypten. Dort habe er sich mit anderen Aktivisten aus aller Welt ausgetauscht. „Dies hat mich ermutigt, weiter zu kämpfen“, sagt er: „Denn ich habe gesehen, dass wir mit unseren Problemen nicht alleine sind.“ Inmitten einer kargen Landschaft gebaut: Kinder spielen in der neuen Siedlung von Kyakabooga 14 EINS2023

INTERVIEW „Die Regeln sind klar, sie werden nur nicht von allen beachtet“ Wie wichtig vernetztes Wissen ist im Kampf für selbstbestimmtes Handeln, weiß Dickens Amanya, Direktor des Ugandischen Netzwerks BAPENECO (Bunyoro Albertine Petroleum Network on Environmental Conservation). Simone Schlindwein hat mit ihm gesprochen. Wie ist das Netzwerk entstanden? Wir haben uns 2010 gegründet, um die Herausforderungen durch das Öl besser zu verstehen. Als 2006 in Uganda zum ersten Mal Öl entdeckt wurde, hatten die meisten Ugander*innen von dem ganzen Sektor keine Ahnung. Es gab fast gar keine öffentlichen Informationen, und wenn doch, dann waren sie komplex. Unser Ziel war zunächst, alle Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in dem Bereich zu vernetzen und eine gemeinsame Bibliothek einzurichten, auch online, um Zugang zu relevanten Informationen überhaupt möglich zu machen. Wir reden in Anbetracht all der Verträge und Verordnungen von über 5.000 Seiten komplexem Material. Es gibt nur wenige Menschen, die überhaupt verstehen, was da geschrieben steht. Und es ist unsere Rolle als NGOs, diese Infos nun so zu übersetzen und den Bäuerinnen und Bauern in den Dörfern so zu erläutern, dass diese selbstbestimmt handeln und entscheiden können. Ist dieser Mangel an Informationen das fundamentale Problem? Absolut, das rührt daher, dass Uganda in nur kurzer Zeit den Ölsektor aufgebaut hat. Als 2006 Öl entdeckt wurde, wurden die ersten Ugander*innen ins Ausland geschickt, um öl- und gasrelevante Studiengänge zu absolvieren. 2008 wurde bereits das erste Gesetz verabschiedet, das den Sektor bis heute reguliert und mit dem Ugandas nationale Ölfirma ins Leben gerufen wurde. Damals hieß es, 2016 schon werde das erste Öl fließen. Aber dann verzögerte sich alles, weil noch gar nicht alle relevanten Gesetze verabschiedet waren. Erst 2019 kam das Umweltgesetz ins Parlament, das auch die Sozialstandards regelt, nach welchen die betroffenen Menschen entschädigt werden sollten. 2021 erst wurde eine Verordnung herausgebracht, wie Öl-Lecks verhindert und behandelt werden sollen. Seitdem sehen wir einen positiven Trend, denn all diese Gesetze geben klare Regeln vor, und unsere Rolle ist es, zu prüfen, ob sie auch eingehalten werden – und auch hier sehen wir seitdem deutliche Verbesserungen, sowohl bei den Firmen als auch bei der Regierung. Aber die betroffenen Gemeinden fühlen sich dennoch als Opfer, warum? Von 2019 bis 2021 hatten wir die weltweite Corona-Pandemie. In Uganda gab es monatelang einen radikalen Lockdown. Niemand durfte das Haus verlassen, auch die Behördenmitarbeiter*innen nicht. Die Regierung hat quasi alle Bearbeitungsprozesse für die Kompensationszahlungen eingestellt. Das hat letztlich zu der Verzögerung geführt, die nun alle beklagen. Dennoch geht die Regierung gegen alle vor, die das Projekt kritisieren. Es ist nicht die Regierung an sich, sondern einige Individuen in verschiedenen Behörden, die gegen uns vorgehen. Unsere Spendengelder aus dem Ausland wurden gestoppt, die Polizei kam mehrfach in unsere Büros gestürmt, auch ich wurde festgenommen. Doch dann zeigten wir ihnen das NGO-Gesetz von 2016, das klar sagt, dass nur die NGO-Behörde uns die Lizenz entziehen kann – nicht die Polizei. Die Regeln sind klar, sie werden nur nicht von allen beachtet. EINS2023 15

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