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frings. Das Misereor-Magazin 1/2023: Wofür es sich zu kämpfen lohnt.

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Wofür es sich zu kämpfen lohnt: Ein Heft über Demokratie und Menschenrechte. www.misereor.de/magazin

Blick auf das

Blick auf das Stadtviertel Barrìo 12 de Abril: Der Alltag ist hier von Mangel und Entbehrung gekennzeichnet BOLIVIEN Text von Constanze Bandowski Fotos von Florian Kopp Die Bolivianerin Inés Rodriguez engagiert sich beim Bürger*innensender „Mi Barrio Observa“ in Tarija. Ihr Ziel: Mehr Gerechtigkeit und bessere Lebensbedingungen für benachteiligte Menschen in ihrem Stadtviertel. Inés Rodríguez hat eine Mission. Die 50-jährige Bolivianerin will die Missstände in ihrer Heimatstadt Tarija aufdecken und das Leben der Menschen verbessern. „Bei uns gibt es zu viel Ungerechtigkeit“, sagt die Bewohnerin des Stadtrandviertels Barrio 12 de Abril. In Jeans, Sneakern und warmer Fleecejacke steht die kleine, charismatische Frau auf einer unbefestigten Schotterpiste an den Ausläufern der Anden. Der Regen hat tiefe Furchen in die Erde gespült, der Wind wirbelt Staub auf. Herrenlose Hunde streunen durch die baumlose Ödnis. Aus den unverputzten Häusern ragt Bewehrungsstahl in die Luft. Die meisten Menschen in Barrio 12 de Abril verdienen ihr Geld als Tagelöhner, Straßenhändlerinnen, Putzkräfte oder Gelegenheitsarbeitende. Im Stadtteil gibt es große Probleme mit Alkohol, Gewalt und Drogen. Junge Männer driften leicht in die Kriminalität ab, aber der Staat hält sich fern. „In Barrio 12 de Abril gibt es keine Kanalisation, kein Trinkwassersystem, keine Abfallentsorgung. Es gibt kaum öffentliche Transportmittel und auf die Polizei ist auch kein Verlass“, sagt Inés Rodríguez. Immerhin bietet eine Straßenbeleuchtung den Bürgerinnen und Bürgern inzwischen etwas mehr Sicherheit im Dunkeln. Die Installierung ist unter anderem ein Verdienst von Doña Inés. Neben ihrem Vollzeitjob als Reinigungskraft berichtet sie für den Bürger*innensender „Mi Barrio Observa“ – „Mein Stadtviertel berichtet“ – aus den Problemzonen der Stadt. Mit Auf- 22 EINS2023

„Ich bin stolz, als Journalistin zu arbeiten und Dinge in Bewegung zu setzen.“ nahmegerät und Smartphone interviewt die Amateurreporterin regelmäßig Betroffene und holt auch Gemeindevorsitzende, Polizisten, Krankenschwestern oder Politikerinnen vor ihr Mikrofon. „Unser Programm hat einen großen Einfluss auf die öffentliche Wahrnehmung“, sagt Elena Peña von Misereors Partnerorganisation ECAM. „Die Behörden merken, dass sich die Menschen für ihre Stadtviertel engagieren. Dadurch können sie es sich nicht mehr leisten, wegzuschauen und die Entwicklung zu vernachlässigen.“ Die Medienexpertin unterstützt ehrenamtliche Reporterinnen wie Inés Rodríguez bei ihren samstäglichen Live-Sendungen im Radio und auf Facebook. Doña Inés gehört zu den engagiertesten Köpfen im Team. Pro Monat übernimmt sie mindestens zwei Themen, egal, ob es sich dabei um fehlende Sickergruben handelt, um häusliche Gewalt, Probleme mit den Männern oder Schulbusse für die Kinder. „Früher war ich viel zu schüchtern, um andere Menschen anzusprechen“, sagt Doña Inés. „Heute muss ich mich zwar nach wie vor überwinden, aber ich bin stolz, als Journalistin zu arbeiten und Dinge in Bewegung zu setzen.“ Der Weg zur Radioreporterin war lang, aber Inés Rodríguez hat ihn trotz aller Widerstände geschafft. Sie hat keinen Schulabschluss, keine Ausbildung und kein Studium. „Ich kann nicht einmal schreiben“, sagt die ruhige Frau mit stramm zurückgebundenem Haarzopf und schmalen Lippen. Mit acht Jahren schickten ihre Eltern sie als Hausmädchen fort. Im 800 Kilometer entfernten Cochabamba schuftete die kleine Inés in Privathaushalten, schlief auf Küchenfußböden und wurde geschlagen. Mit 19 zog sie zurück nach Tarija, heiratete einen Metallbauer und bekam zwei Söhne. Ihr Mann war Alko- Inés Rodríguez produziert ein Interview für ihre samstäglichen Live- Sendungen im Radio EINS2023 23

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