Die philippinische Investigativ-Journalistin Maria Ressa wurde immer wieder Zielscheibe von Hass und Gewaltandrohungen, sowohl von staatlicher Seite als auch im Netz. Sie hat miterlebt, wie der Ex-Regierungschef Rodrigo Duterte in seinem „Kampf gegen die Drogen“ Zehntausende Menschen ermorden ließ. Sie war in Kriegsgebieten Südostasiens als Reporterin unterwegs, hat Nächte auf harten Stühlen in Polizeigewahrsam verbracht, Wellen von Gewalt durchs Internet rollen sehen, die sich dann im echten Leben entluden, und mit al-Qaida-nahen Extremisten Fotos: dpa picture-alliance Verhandlungen geführt. Die 59-Jährige verlässt ihr Haus nur noch mit kugelsicherer Weste, Dutzende Haftbefehle wurden aufgrund ihrer Arbeit gegen sie erlassen. Ihren Glauben an das Gute im Menschen hat sie dennoch nicht verloren: „Das Vertrauen auf das Gute im Menschen ist integraler Bestandteil meiner Weltsicht“, schreibt sie in ihrer aktuell auf Deutsch erschienenen Biografie „Wie man sich gegen einen Diktator zur Wehr setzt“. 26 EINS2023 Lohn des Engagements für die Wahrheit: Maria Ressa hält die Haftbefehle in die Kameras Die Suche nach Gerechtigkeit und Wahrheit stehen für sie an erster Stelle. Auch ihr Glaube hat sie geprägt, wenngleich sie hierzu nicht viele Worte verliert. Während ihres Studiums an einer US-amerikanischen Elite-Uni brachte ihre Mutter ihr einst eine riesige Marien-Statue mit, die fortan auf ihrer Kommode thronte. Aber erst viel später, als sie nach einer Sturzflut auf den Philippinen zusah, wie mehr als 600 Leichen in einem Massengrab in Ormoc verscharrt wurden, das Wehklagen der Familien hörte und umgeben war vom Gestank verwesenden Fleisches, „in diesem Moment“, so schreibt sie, „beschloss ich, an Gott zu glauben.“ Dieser schnörkellose Pragmatismus zieht sich durch ihre Biografie. Ihr Lebensthema ist jedoch der Kampf gegen die Übermacht der Technologiekonzerne, die die sozialen Medien kontrollieren. Deren Algorithmen, das wird sie nicht müde zu beweisen, belohnen Hass und Gewalt und bereiten so die Saat für den Aufstieg von Scharfmachern und Kriegstreibern. Als die sozialen Netzwerke der breiten Mehrheit noch als willkommene Kommunikationsmittel galten, warnte sie bereits davor, welch zerstörerisches Potenzial Facebook und Co. innewohnt. Wie ein Lauffeuer verbreiten sich dort Lügen, was autoritäre Regime geschickt für sich nutzen – Rodrigo Du-
Buchhinweis Maria Ressa: How to stand up to a Dictator Der Kampf um unsere Zukunft terte und zuletzt der Diktatorensohn und jetzige Präsident Ferdinand Marcos Junior machten das vor. Was heute auf den Philippinen passiert, geschieht morgen anderswo, so ihre Überzeugung. Fakten zählen nicht mehr – diese Erfahrung machte Ressa, die jahrelang für CNN in Indonesien und den Philippinen tätig war und das preisgekrönte Online-Nachrichtenportal Rappler gründete, lange vor dem Aufstieg der Trumps dieser Welt. Die ehemals begeisterte Facebook-Nutzerin suchte das Gespräch mit Gründer Mark Zuckerberg und warnte vor den Folgen der unregulierten Flut an Fake News für die Demokratie. Erst 2021, als sie für die Verteidigung der Pressefreiheit den Friedensnobelpreis bekam, begann die Welt ihr zuzuhören. „Die Technologieplattformen haben Regeln eingeführt, die digitalen Populisten und autoritären Herrschern das Äquivalent einer Atombombe in die Hand gaben, mit dem sie die Gesellschaften und Demokratien überall auf der Welt auf den Kopf stellen können“, berichtet sie. Fakten zählen nicht mehr – diese Erfahrung machte die Journalistin Maria Ressa lange vor dem Aufstieg der Trumps dieser Welt Quadriga Verlag, Köln 2022, 352 Seiten Gemeinsam auf der Straße: Demonstration für Pressefreiheit und Rechtsstaatlichkeit Davor zu warnen wird sie nicht müde. Ressa ist nicht nur Heldin, sondern auch eine Getriebene. Sie kann nicht mehr tagsüber ihrer Arbeit nachgehen und abends Zeit mit der Familie verbringen. Sie weiß zu viel. Von den Zusammenhängen zwischen Algorithmen und Autokratien. Von den Gefahren, die es mit sich bringt, wenn seriöser Journalismus nicht mehr zählt und sich eine Gesellschaft nicht auf unumstößliche Fakten einigen kann. Doch sie weigert sich, sich mit einer solchen Welt abzufinden. Und fordert eine bessere. Wie die aussehen könnte? Zunächst gelte es, „die Rechtsstaatlichkeit in der virtuellen Welt wiederher(zu)stellen – damit eine Vision eines Internets entsteht, das uns nicht Erst 2021, als sie für die Verteidigung der Pressefreiheit den Friedensnobelpreis bekam, begann die Welt ihr zuzuhören spaltet, sondern verbindet.“ Verbundenheit und Zusammenarbeit sind für sie unabdingbar. Daher stellte sie ihr Nachrichtenportal Rappler so auf, dass es nicht nur im Interesse der eigenen Firma agiert, sondern gelernte Lektionen teilt, auch mit Mitbewerbern. Die von ihr mit ins Leben gerufene Datenbank Sharktank ist heute für wissenschaftliche Einrichtungen und Forscher zugänglich, die verstehen wollen, „wie der Umgang mit bestimmten Informationen eine stabile Demokratie in ein autoritäres Herrschaftssystem verwandeln kann.“ Sie setzt auf bürgerschaftliches Engagement und erlebte es selbst, als Wildfremde in einen Fonds einzahlten, sodass Maria Ressa und Rappler die Anwaltskosten begleichen konnten, die aufgrund der staatlichen Repressionen immer wieder anfallen. „Ich bin selten enttäuscht worden. Das ist für mich Stärke und der Grund, warum ich an das Gute in der menschlichen Natur glaube.“ Ihrer Erfahrung nach entstehen dort, wo es Verletzlichkeit gibt, die stärksten Bindungen und inspirierende Möglichkeiten. Elisa Rheinheimer ist freie Journalistin, unter anderem für die Frankfurter Rundschau, welt-sichten, Qantara und den Evangelischen Pressedienst. Am liebsten ist sie unterwegs – ob auf Recherche in Ägypten oder Taiwan, Bangladesch oder dem Gazastreifen. Ehrenamtlich engagiert sie sich im Vorstand des Vereins „journalists network“. EINS2023 27
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