LANDWIRTSCHAFT Text von Annette Jensen Eine Landwirtschaft, die zur Eindämmung des Klimawandels beiträgt, die Fairness und das Wohlergehen der Landwirte fördert und erschwingliche, nachhaltige und gesunde Lebensmittel hervorbringt. Diesen Traum wahr werden zu lassen, daran arbeiten Helmy Abouleish in Ägypten und Benedikt Bösel in Brandenburg. Beispiel Ägypten Die Wüste zum Blühen bringen Vor einem halben Jahrhundert war hier alles Wüste. Jetzt grünt, blüht und duftet es 60 Kilometer nördlich von Kairo. Menschen ernten Kamille, Fenchel, Zucchini und Paprika, andere bauen Saatgut an oder nähen Strampler aus Bio-Baumwolle. Weiße Häuser mit geschwungenen Formen beherbergen Produktionsstätten, Konzertsäle und Klassenzimmer. 2.000 Menschen arbeiten auf dem 200 Hektar großen Gelände von Sekem. Viele beschreiben die Entwicklung als Wunder. Auch Markus Wolter, Referent für Landwirtschaft und Welternährung bei Misereor, war schwer beeindruckt, als er vor Kurzem Bis 2057 soll die Landwirtschaft in Ägypten nachhaltig sein die Partnerorganisation besucht hat. „Das alles ist kein Hexenwerk, sondern zeigt, was mit einem ganzheitlichen Ansatz von Bio-Landwirtschaft, Bildung und Kultur alles möglich ist.“ 1977 brach Ibrahim Abouleish seine Karriere als Leiter einer pharmazeutischen Forschungsabteilung in Graz ab. Zusammen mit seiner Familie kehrte er nach über 20 Jahren in seine Heimat Ägypten zurück. Im Gepäck hatte er eine Vision, die seine Freunde und die neuen Nachbarn für völlig verrückt hielten: Mit Hilfe von Kuhdung und Kompost wollte er toten Sandboden in fruchtbare Erde verwandeln. Und er wollte noch mehr. Die dort Beschäftigten sollten ein Drittel ihrer Arbeitszeit mit Bildung, Gemeinschaftsaktivitäten 30 EINS2023 Wo einst toter Sandboden war, wächst nun duftende Kamille für Kräutertees – und vieles mehr
Die einst für verrückt gehaltene Vision gibt mittlerweile 2.000 Menschen Arbeit und Bildung Bei Sekem („Lebenskraft“) gehören Unterricht, Gemeinschaft und Kreativität zur Arbeitszeit Nichts ist überzeugender, als eine Vision, die wahr wird Fotos: Sekem (3), dpa picture-alliance (1) und Kreativität verbringen. „Sekem“ nannte er sein Projekt ̶ das altägyptische Wort für Lebenskraft. Nach und nach entstanden die ersten Äcker, der Humusgehalt nahm zu, die Produktivität wuchs. „Weil bei uns Milliarden von Mikroorganismen in jedem Teelöffel Boden leben, kommen wir mit 20 bis 40 Prozent weniger Wasser aus als andere Betriebe“, berichtet Helmy Abouleish, der nach dem Tod seines Vaters dessen Lebenswerk weiterführt. Inzwischen gibt es auf dem Gelände vier Produktionsstätten. Sekem beliefert auch Deutschland: Das Fair Handelshaus GEPA, zu deren Gesellschaftern auch Misereor zählt, mit Zutaten für Kräutertees und den Saatgutproduzenten „Bingenheimer Saatgut“ mit Radieschen. Doch 80 Prozent Helmy Abouleish glaubt an eine nachhaltige und wassersparende Landwirtschaft für Ägypten der Ernte verbleiben in Ägypten. Und das gute Beispiel strahlt aus ins Land. Schon 1.500 heimische Biobauern und -bäuerinnen arbeiten mit dem Betrieb zusammen und beliefern Sekem. 40.000 weitere möchten Lieferanten werden. 1991 konnte Ibrahim Abouleish die ägyptische Regierung überzeugen, auf den flächendeckenden Einsatz von Pestizien im Baumwollanbau zu verzichten. Nachdem er starb, bildete die Gemeinschaft einen generationenübergreifenden Zukunftsrat. Der arbeitete ein Jahr lang an der Vision für die nächsten 40 Jahre. Einfach irgendwann die Zahl der Teebeutel von 800 Millionen auf acht Milliarden zu steigern, fand die Gruppe nicht spannend, berichtet Helmy Abouleish. Stattdessen setzte sie sich ein Ziel, das heute genauso unrealistisch erscheint wie einst der Plan seines Vaters: Bis 2057 soll die gesamte Landwirtschaft in Ägypten nachhaltig sein. „Wir sind sicher, dass das der Fall sein wird“, sagt der 61-Jährige Abouleish während eines Vortrags und lächelt. Agrochemie würde immer teurer, die Reduzierung des Wasserverbrauchs sei in Zeiten der Erderhitzung unabdingbar. Nichts ist überzeugender, als eine Vision, die wahr wird. Sekem zeigt, wie es geht. EINS2023 31
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