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frings. Das Misereor-Magazin 1/2024: Ab in den Garten!

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Ab in den Garten! Ein Heft über Gemeinschaft, Gewinn und Genuss. www.misereor.de/magazin

„Schon der Gedanke an

„Schon der Gedanke an Pläne zieht mir die Schuhe aus vor Langeweile.“ Blick für Details erkennen lässt. Jedes Jahr wird ein neues Gartenprojekt begonnen, so sind nach und nach der Schwimmteich, die Sauna und zuletzt der Pavillon und der Geräteschuppen „Im Paradies“ dazugekommen. In jedem Winkel atmen Haus und Garten die Lebensweise ihrer jetzigen Besitzer*innen, aber auch die Geschichte längst weitergezogener Bewohner*innen: Secondhand-Gartenstühle, Kissen und Leuchten erzählen von Flohmarktbesuchen und der Lust aufs Recyceln; auf der Ziegelwand des alten Schobers ist eine uralte, unbeholfene Zeichnung eines unbekannten Bauern mit Mistgabel erhalten, die Keramiktöpfe haben das Moos von vielen Gartenjahren angesetzt. Kat Menschik sitzt mittlerweile an ihrer Töpferscheibe. Ihre Werkstatt ist in einem der historischen Schober untergebracht. Die Künstlerin stellt hier ihre Schmuckserie aus Porzellan her oder auch unverkäufliche kleine Zierbecher für die Geburtstage ihren Freundinnen und Freunde, alles in Handarbeit und mit individuellen Motiven. Der Wechsel zwischen Gartenpflege, Töpferei und natürlich der Arbeit an ihren Illustrationen geschieht dabei je nach Stimmung 10 EINS2024 Garten-Projekt während der Corona-Zeit: den Geräteschuppen hat Kat Menschik sorgfältig bemalt und Tagesform. „Ich weiß auch nicht, was bei mir da irgendwie falsch läuft, aber ich kann keine Pläne machen. Schon der Gedanke daran zieht mir die Schuhe aus vor Langeweile.“ Gibt es hier Parallelen zwischen der Lebenseinstellung von Kat Menschik und ihrem Garten, den sie in ihrem Buch „Der goldene Grubber“ als „Freigeist mit starkem Charakter“ beschreibt? Aufgewachsen in Ostberlin verbringt Kat Menschik ihre Jugend in den 80er Jahren in der DDR, mit der es, wie sie sich erinnert, damals schon bergab ging. „Wir haben uns viele Freiheiten einfach herausgenommen, für die man vielleicht noch ein Jahrzehnt vorher in das Gefängnis gekommen wäre. Es war wirklich eine wilde freie Jugend. Nach dem Abitur mit 18 bin ich im Sommer in so ein Abrisshaus in Prenzlauer Berg gezogen, und lauter Punks wohnten um mich rum. Wir sind wirklich jeden Tag ausgegangen auf illegale Konzerte, heimliche Ausstellungseröffnungen, auf irgendwelche Partys.“ Nach der Ausbildung zur Schaufensterdekorateurin beginnt Kat Menschik dann ein Studium des Kommunikationsdesigns. Prägend sind auch die zwei Austauschjahre in Paris, wo sie gemeinsam mit Kommilitonen das monatliche Comicmagazin „Spunk“ herausgibt und so zum ersten Mal Zeichnungen veröffentlicht: „So in Postkartengröße kopierte kleine Heftchen mit Schnips-Gummi zusammengehalten. Die haben wir in den Comicläden angeboten. Das hat gut funktioniert, weil Paris damals voll davon war.“ Zurück in Berlin gründet sie mit Kommiliton*innen den Millionen-Verlag, der wenig bekannten Comic-Zeichner*innen und schon bekannten Größen abseits des Mainstreams eine Plattform bietet. „Andreas Platthaus, Comicexperte bei der FAZ, hat uns auf der Leipziger Buchmesse entdeckt, und am nächsten Tag stand in der Zeitung: Das ist das Beste, was Deutschland zurzeit zu bieten hat. Am Tag „Das Haus verlassen“: Eine Geschichte um ein Feldsteinhaus von der Autorin Jacqueline Kornmüller, illustriert von Kat Menschik mit vielen Details aus ihrer Umgebung

Jedes Objekt ist ein Unikat: In der Keramikwerkstatt im alten Schober entstehen Schmuck und Geschenke ihrer Meisterschulprüfung ruft Andreas Platthaus an und fragt, ob Kat Menschik für die FAZ zeichnen möchte. 22 Jahre und 1.145 Zeichnungen später illustriert Kat Menschik noch immer das Fernsehprogramm der Sonntagszeitung. Dabei ist sie ihrer Arbeitsweise treu geblieben: Die Umrisse werden mit typisch kräftigem Tusche-Strich vorgezeichnet. Dann wird die Zeichnung eingescannt. Das Retuschieren, Schattieren und Kolorieren passiert dann am Computer. Seit 2016 gestaltet die 56-Jährige so auch Buchprojekte, wie die „Illustrierte Reihe“ für den Berliner Galiani Verlag mit ihren Lieblingserzählungen von Franz Kafka, E.T.A. Hoffmann und Edgar Allan Poe. Oder sie etabliert sich zur Lieblingsillustratorin des japanischen Erfolgsautors Haruki Murakami. Und dann gibt es da noch viele andere Herzensprojekte, wie ein Kochbuch mit unprätentiösen Gerichten, das knallbunte Plakat mit über 60 Tomatensorten oder das Gartenbuch „Der goldene Grubber – von großen Momenten und kleinen Niederlagen im Gartenjahr“. Wie sehr Garten und Haus die künstlerische Arbeit von Kat Menschik inspirieren, zeigt nicht nur ihr letztes Buchprojekt mit der Autorin Jacqueline Kornmüller „Das Haus verlassen“, in dem sie zahlreiche Details aus ihrer Umgebung illustriert hat. In ihren Zeichnungen tauchen immer wieder Pflanzen und Tiere auf, Ornamente, Muster, organische Formen, die sie überall in ihrer Umgebung findet, aufnimmt und rastlos verarbeitet. „Mir ist mein ganzes Leben lang schon präsent, dass man nichts ver- „Man darf nichts geuden darf, nichts hinausschieben. Das versuche vergeuden, nichts ich zu leben. Und deshalb hinausschieben. Das versuche ich zu leben.“ Lieblingspflanze und Inspiration für Bücher und Plakate: Über 60 Tomatensorten wachsen im Garten schaffe ich vielleicht auch so viel, weil ich das immer gleich mache und Lust darauf habe. Wenn ich die Idee habe, das Bad mal lila zu streichen, dann bin ich ein paar Minuten später schon am Abkleben und Ausprobieren.“ Ihr Paradies hat die Künstlerin bereits gefunden. „Ich bin ein bisschen so ein Glückskind“, bekennt Kat Menschik nachdenklich. „Vielleicht ist das zum Teil eine Haltungsfrage, die ich mir mit der Zeit angeeignet habe. Sich bewusst zu machen, dass wir in dem größten möglichen Luxus leben, zur Kenntnis zu nehmen, wie gut es uns geht.“ Sagt es und ist schon wieder unterwegs in ihren Tomatenbeeten auf der Suche nach den kleinen Dingen, die glücklich machen. „Als letztens ein kurzer Regenguss kam, bin ich mit einem Trockentuch durch alle Beete gerannt und habe jede Tomate einzeln abgetrocknet.“ Michael Mondry arbeitet als Redakteur bei Misereor. In seinem Wohnort in Köln hat er nur einen kleinen Stadtgarten zu betreuen. Klaus Mellenthin lebt in Berlin und fotografiert Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kultur und zu vielfältigen gesellschaftlichen Themen. EINS2024 11

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