„Wir wollen unserer Jugend klarmachen, dass eine lokale, unabhängige und vielfältige Landwirtschaft Zukunft hat.“ Edward Mukiibi niert unsere lokale Produktion vor Ort, auch wenn es nicht beabsichtigt ist. Europäischen Wähler*innen sollte bewusst sein, dass sie sich auch für uns für bessere politische Entscheidungen einsetzen. Wir wollen zum Beispiel ein Institut für afrikanische Ernährung aufbauen, um das vorhandene Wissen zu sammeln und besser zu verteilen und weitergeben zu können. Und um Gemeinschaften, die auf Selbstversorgung setzen wollen, Hilfe anzubieten. Dafür brauchen wir Ressourcen. Es wäre gut, wenn der Globale Norden Initiativen wie diese unterstützt. Verborgener Hunger existiert nicht nur im Globalen Süden, sondern ist auch in Deutschland ein wachsendes Problem: Oft sind es Kinder, die übergewichtig und unterernährt zugleich sind, weil ihnen Vitamine und Mineralstoffe fehlen: Haben Sie eine Lösung dafür? Mukiibi: Verborgener Hunger ist auch in Afrika ein wachsendes Problem, vor allem bei Schulkindern. Das sehen wir zum Beispiel in Malawi und Sambia, wo 90 Prozent der Schulkinder täglich nur ein Gericht aus Mais und Bohnen zu essen bekommen. Und auch in Uganda beobachten wir, dass Kinder, die zur Schule gehen, 20 Tage im Monat nur Reis und Bohnen essen, ohne andere Lebensmittel und Nährstoffe zu sich zu nehmen. Woran liegt das? Mukiibi: Das liegt am Verlust der Artenvielfalt. Dort, wo es Schulgärten wie von unserem Projekt „Gärten in Afrika“ gibt, können wir dieses Problem überwinden und gesundes und nährstoffreiches Essen anbieten, indem wir dort neben Bohnen ganz verschiedene Gemüsesorten anbauen wie Süßkartoffeln, Frühlingszwiebeln, Paprika oder Avocados und auch Obst wie Bananen. Diese traditionelle mehrdimensionale Anbauweise bewahrt die Kinder vor verborgenem Hunger und versorgt sie mit allem, was sie brauchen. Das gilt ebenso für die Gemeinschaftsgärten: Überall dort, wo große Monokulturen angebaut werden, haben Sie lange Hungerzeiten oder verborgenen Hunger. Unsere Erfahrungen zeigen klar: Dort, wo es Vielfalt im Garten gibt, können sich Menschen gesund und ausreichend ernähren. Was ist Ihre Lösung, Herr Spiegel? Spiegel: Für eine „Lösung“ sollten alle Involvierten zusammenkommen. Notwendig dafür ist: Es sollte verbindliche Richtlinien dafür geben, dass jedes Kind, in Deutschland ebenso wie überall auf der Welt, zumindest eine gesunde und ausgewogene Mahlzeit in Kindertagesstätte oder Schule erhält. Diese Mahlzeit sollte kostenlos sein, weil jedes Kind das Recht auf eine gesunde Ernährung hat. Außerdem fordern wir gemeinsam mit Slow Food eine agrarökologische Wende, weg von der kapitalintensiven Landwirtschaft, hin zu mehr Vielfalt und kleineren Strukturen. Zur Ernährungswende gehört auch eine stärker pflanzenbasierte Ernährung, sodass nicht mehr 40 bis 50 Prozent der Agrarflächen weltweit für den Anbau von Futtermitteln verwendet werden. Und wir müssen die Lebensmittelverschwendung eindämmen – die bei uns, weil zu viel weggeworfen wird, und die im Globalen Süden, weil oft die Infrastruktur fehlt, um Lebensmittel zeitgerecht weiterzuverarbeiten oder zu verbrauchen und sie zu häufig zu verrotten drohen. Entwicklungszusammenarbeit steht in der Kritik. Sie sei nicht mehr zeitgemäß, heißt es: Wie sehen Sie das? Spiegel: Ich stimme zu, dass eine Entwicklungszusammenarbeit, die paternalistische Strukturen und Abhängigkeiten unterstützt, überwunden werden muss. Mukiibi: Richtig. Eine Entwicklungszusammenarbeit, die neokoloniale Tendenzen unterstützt, lehnen wir ab. Aber eine Entwicklungsarbeit, die Gemeinschaften und Menschen vor Ort stärkt und sie darin unterstützt, unabhängiger und widerstandsfähiger zu werden, ihre Rechte einzufordern und mehr soziale Gerechtigkeit zu schaffen, erleben wir als sehr hilfreich. Diese Art der Entwicklungszusammenarbeit, wie sie auch Misereor leistet, heißen wir willkommen. Edward Mukiibi ist 2022 zum internationalen Präsidenten von Slow Food gewählt worden. Zuvor war der Agrarökonom aus Uganda Stellvertreter von Slow Food-Gründer Carlo Petrini. Der Sohn einer Bauernfamilie gilt als einer der einflussreichsten Agronomen Afrikas. Es ist ihm gelungen, mit Slow Food Initiativen wie etwa dem Projekt „Gärten in Afrika“ Ugandas Landwirtschaftssektor zu reformieren und ihn nachhaltiger zu machen. Das ostafrikanische Land gilt mit seinen fruchtbaren Böden und dem milden Klima als Gemüsegarten Ostafrikas. Bis vor wenigen Jahren setzte die Regierung noch auf den Ausbau der industrialisierten Landwirtschaft, inzwischen ist Uganda eines der wenigen Länder weltweit, die eine agrarökologische Wende begonnen haben. 26 EINS2024
INFOGRAFIK Noch immer sind viele Menschen nicht einmal in der Lage, genug Kalorien zu sich zu nehmen, um satt zu werden. Kommentiert von Lutz Depenbusch, Referent für Ländliche Entwicklung bei Misereor Konsum von Obst und Gemüse pro Person und Tag 400 g 390 g Empfohlene Aufnahme Weltweite Produktion (2017) 190 g Weltweiter Konsum Gemüse Quellen: fao.de; Harris, J. et al. (2023) – Fruits and vegetables for healthy diets 81 g Weltweiter Konsum Obst Zero Hunger in weiter Ferne Die Welt hat sich das Ziel gesetzt, bis 2030 den Hunger zu besiegen. Bei der derzeitigen Entwicklung werden jedoch 58 Länder nicht mal ein niedriges Hungerniveau erreichen. Quelle: welthungerindex.org „Wegen fehlender Kühlung wird vieles schlecht und die Menschen in vielen Ländern können sich Obst und Gemüse nicht leisten.“ Der perfekte Speiseplan, um den Planeten zu retten Der Planet leidet massiv unter unseren Essgewohnheiten. Deshalb haben Forschende einen Speiseplan entwickelt, der die natürlichen Grenzen des Planeten berücksichtigt und eine gesunde Ernährung aller Menschen sicherstellen will. „Ohne ein deutliches Eingreifen werden im Jahr 2030 immer noch fast 600 Millionen Menschen unter chronischem Hunger leiden.“ IInfografik: Infotext Berlin Quelle: statista.de EINS2024 27
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