Pestizid-Einsatz wird im Ökodorf vermieden: Kapuzinerkresse und Tagetes schützen das Gemüse vor Nematoden und Läusen Ökodorf Sieben Linden: Früher war hier ein riesiger, konventionell bewirtschafteter Getreideacker In einer dünn besiedelten Gegend 50 Kilometer nordöstlich von Wolfsburg liegt das Ökodorf Sieben Linden. Als die ersten Bewohner*innen vor einem Vierteljahrhundert ihre Häuser in Stroh-Lehmbauweise errichteten, war das ganze Gelände ein riesiger, konventionell bewirtschafteter Getreideacker mit angrenzendem Kiefernwald. Heute wachsen auf schmalen Feldstreifen dicht an dicht pralle Salatköpfe, üppige Grünkohlbüsche, Rote Bete und Zuckerhut. „Durch den engen Anbau entsteht ein Mikroklima zwischen den Pflanzen. So kann der Boden das Wasser besser halten", beschreibt Lorena Castro ein Element der hier praktizierten hocheffizienten Anbaumethode, die keine schweren Maschinen nutzt und Dutzende Gemüsesorten auf wenig Raum kultiviert. Die 27-Jährige stammt aus Mexiko. Ihr ist wichtig zu demonstrieren, dass Selbstversorgung möglich ist. „Deutschland ist es gewohnt, einen Großteil der Lebensmittel zu importieren auf Kosten von Menschen anderswo“, sagt die kleine, energiegeladene Frau mit dem Strohhut. Sie verweist auf den Weltklimarat. Der führt ein Drittel der Erderwärmung auf das aktuelle Ernährungssystem zurück und empfielt für die Zukunft weniger tierische Produkte, Saisonalität, Regionalität und Vielfalt. Tatsächlich landet alles, was Castro und ihre beiden Kolleginnen mit Unterstützung zahlreicher Freiwilliger auf dem drei Hektar großen Gartengelände ernten, in Kochtöpfen, Salatschüsseln und Einmachgläsern in fußläufiger Entfernung. Die 150-köpfige Dorfgemeinschaft ernährt sich und die zahlreichen Gäste zum allergrößten Teil mit eigenem Gemüse, Brot, Müsli und Nudeln. Öle und einige andere Produkte wie Kaffee werden zugekauft. Markus Wolter, Referent für Landwirtschaft und Ernährung bei Misereor, kennt Anbaupraktiken auf fast allen Kontinenten und war auch mehrfach in Sieben Linden. Das in der sachsen-anhaltinischen Provinz praktizierte Marktgartenkonzept hält der Diplomgeograf für beispielhaft 32 EINS2024
Durch den engen Anbau entsteht ein Mikroklima zwischen den Pflanzen. So kann der Boden das Wasser besser halten. dafür, wie sich die gesamte Menschheit gut und planetenfreundlich versorgen ließe. „Es gibt heute im Allgemeinen genug Essenskalorien für alle; der Hunger ist unter anderem eine Folge von Kriegen und ungerechter Verteilung – niemand müsste hungern“, fasst Wolter zusammen. Doch Reis, Soja, Weizen und andere lagerfähige Lebensmittel reichen allein nicht für eine ausgewogene Ernährung. Dafür müsste weltweit viel mehr Gemüse produziert werden – und das sollte dann auch aus der jeweiligen Umgebung kommen und ökologisch erzeugt werden, um frisch auf den Tellern zu landen. Lorena Castro ist in Sieben Linden für vier Gewächshäuser und die Gemüseanzucht verantwortlich. Tomatenpflanzen recken sich bis zum Dach, in den Reihen dazwischen kauern üppige Basilikumbüschel, Paprika- und Auberginenstauden. Hier und da leuchten die orangefarbenen Blüten von Kapuzinerkresse und Tagetes. Das erfreut nicht nur das Auge, sondern schützt auch das Gemüse vor Nematoden und Läusen. „Wir geben den Tieren was zu fressen, damit sie nicht auf unsere Hauptkulturen gehen“, erklärt die Gärtnerin, während sie durch die Reihen streift und rasch ein paar Tomatentriebe ausgeizt. Die vorhandene Bodenqualität war hier sehr schlecht, ein Problem, mit dem die Gegend in Sachsen-Anhalt keineswegs alleine dasteht. In vielen Weltregionen hat die „grüne Revolution“ durch hohen Pestizideinsatz und Monokulturen die Böden ausgelaugt. „Knapp ein Viertel der Böden weltweit sind heute degradiert – Tendenz steigend“, bilanziert Markus Wolter. Schrumpft der Humusgehalt, hält der Boden auch weniger Wasser. Das ist fatal in Zeiten steigender Temperaturen und zunehmender Dürrephasen. Um dem entgegenzuwirken, lässt das Garten-Team in Sieben Linden bei der Ernte die schlappen Außenblätter liegen und die Wurzeln im Boden. Dann kommt für drei bis vier Es gibt zahlreiche Tomatenpflanzen: Tröpfchen-Bewässerung hilft, das knappe Wasser möglichst effektiv einzusetzen, die Erde wird mit Blättern abgedeckt Lorena Castro ist in Sieben Linden für vier Gewächshäuser und die Gemüseanzucht verantwortlich Wochen eine dunkle Plane über das feuchte Feld. Milliarden von Mikroorganismen, Würmer und Pilze haben jetzt Ruhe, die Reste in Humus zu verwandeln. Sofort danach erfolgt die nächste Pflanzung: Zu keinem Zeitpunkt ist der Boden nackt Sonne und Wind ausgesetzt. Tröpfchenbewässerung hilft, das knappe Wasser gleichmäßig zu verteilen und möglichst effektiv einzusetzen. Misereor-Partner haben viel Erfahrung mit Boden-Regeneration durch Kompostdüngung und anderen agarökologischen Methoden, die Kohlenstoff in der Erde binden und das Bodenleben fördern. „Intensiver Gemüsebau geht kaum ohne tierisches Material wie Mist, Schafwoll- oder Hornpellets“, ist Wolter überzeugt. Das sieht auch Uga Wolf so, der vor 25 Jahren in Sieben Linden auf einem Hektar Land Obstbaumreihen im Abstand von zwölf Metern gepflanzt hat. Sternrenette, Kaiser Wilhelm, Herbstprinz und Holsteiner Cox – seine Baumschule hat inzwischen über 500 verschiedene Apfel- und Birnensorten im Angebot. Dazwischen ge- EINS2024 33
Laden...
Laden...
Follow Us
Instagram
Twitter
Facebook