BILDBAND Der Bildband des niederländischen Fotografen Henk Wildschut zeigt Pflanzen und Gärten, die Geflüchtete neben ihren Behelfsunterkünften angelegt haben. Die Gärtnerin Uli Hager hat sich davon berühren lassen. D ROOTED Henk Wildschut, 2019, 160 Seiten, im Eigenverlag, 39,– Euro as Zitat „When I see green, I remember home“, das dem Band vorangestellt ist, zieht sich wie ein roter Faden durch Henk Wildschuts langjähriges Fotobuchprojekt „Rooted“. Darin dokumentiert der niederländische Fotograf Kleinstgärten, die Menschen in verschiedenen Flüchtlingslagern in Tunesien, Jordanien und dem Libanon angelegt haben: Pflanzen und Gärten stehen hier für die Verbindung zwischen Vergangenem und Zukünftigem, sie sind eine Erinnerung an die Heimat und ein Sinnbild für die Hoffnung, die man hegt und pflegt, um sie nicht zu verlieren. In knappen Erzählungen und fast schlicht anmutenden Fotos zeigt Wildschut die Sehnsucht der Geflüchteten nach lebendigem Grün, nach persönlichen Spuren in der uniformen Tristesse und dem Aufbegehren gegen die Unwirtlichkeit des Lagerdaseins – ohne eine einzige Person direkt abzubilden. Bei der Betrachtung stelle ich mit Erstaunen fest, dass viele der liebevoll gezogenen Pflanzen auch bei uns bekannt sind: Zierpflanzen wie Geranien und Mittagsblumen, Sukkulenten, Jasmin, Oleander, Gardenien, Nelken, Rosen, Löwenmäulchen, Amaryllis und Sonnenblumen; Obstgehölze wie Granatapfel, Weinreben, Feigen, Zitronenbäumchen sowie Kürbis, Rote Bete, Zwiebeln und Erbsen. Einige Pflanzen werden mittels ausgeklügelter – vermutlich aus der Heimat bekannter – simpler Bewässerungstechniken versorgt, zum Beispiel mithilfe einer Tröpfchenbewässerung aus verbundenen Plastikflaschen. Andere Pflanzen gedeihen, weil sie von Natur aus wahre Überlebenskünstler sind und ein Symbol für Ausdauer und Widerstandskraft. Die Mikrogärtner*innen erzählen, wie wohltuend für sie ein Aufenthalt in direkter Nähe der Pflanzen und deren Duft sei, dass ihre Kleinstgärten einen Platz für gemeinsame Treffen und Entspannung ermöglichen und lebenswichtig für ihr geistiges Überleben seien. Der Buchtitel „Rooted“, verwurzelt, verweist auf einen Widerspruch, denn alle, die in den von Wildschut besuchten Lagern leben, sind Entwurzelte. Und auch viele der gezogenen Pflanzen werden in Gefäßen kultiviert und eben nicht in die Erde gesetzt, um dort einzuwurzeln. Sie bleiben mobil und spiegeln die Lebensrealität und in gewisser Weise auch die Identität der Menschen wider: Weder sie noch ihre Pflanzen verorten sich im Camp. Sie befinden sich im Transit. Wildschut sieht darin auch eine Form von Widerstand gegen das Wurzeln in fremdem Boden. Fast schon skurril mutet vor diesem Hintergrund die Rasenfläche neben einer Hütte an. Der Geruch von gemähtem Gras erinnere den Besitzer an sein zerstörtes Haus mit großen Rasenflächen in Homs, erzählt der Autor. Sein Bildband beeindruckt und er beschämt. Denn er erzählt in scheinbar simplen Bildern, wie es selbst in extremen Lebensumständen und trotz Armut und Kargkeit manchen Menschen gelingt, auf die Kraft des Lebendigen vertrauen. 42 EINS2024
Fotos aus dem besprochenen Bildband, © Henk Wildschut EINS2024 43
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