KOLUMNE Beim Wühlen in der Gartenerde Frieden und Freude finden? Muss nicht sein, findet Autorin Anne Lemhöfer. Sie geht gänzlich ohne grünen Daumen durchs Leben. Illustration von Kat Menschik Ich liebe Gärten. Ich mag es, wenn es um mich herum grünt und blüht, wenn Bienen summen und Kinder fröhlich Gießkännchen schwenken. Ist das Minze, die da so wunderbar duftet? Und diese gelben Tomaten, nach denen ich nur die Hand ausstrecke – einfach wunderbar als Snack zwischendurch. Himbeeren, Mangold, Chilischoten, alles wächst und gedeiht. „Nimm dir von allem mit“, sagt meine Freundin, „wir haben viel zu viel davon.“ Es ist nämlich ihr Garten, in dem wir auf einer ochsenblutroten Holzbank sitzen und die Gedanken schweifen lassen. „Dieses Trampolin da, damit haben sie sich den ganzen Garten verschandelt“, lästert meine Freundin über die Nachbarn von gegenüber. Ich wechsele rasch das Thema. Denn ich liebe Gärten, in denen Menschen Gemüse, Obst und Kräuter anbauen. Also, andere Menschen. Im Garten unseres eigenen Hauses steht dagegen, nun ja, ein Trampolin. Außerdem haben wir zwei Schaukeln, eine Rutschbahn und ein Kinder-Fußballtor angepflanzt, im Sommer entfaltet sich in üppiger Pracht ein Planschbecken. Wir erfreuen uns daran. Den Menschen, die uns besuchen, gefällt es ebenso. Hier könnte diese Geschichte eigentlich enden. Alle sind glücklich, alles ist gut. Doch ich fühle mich immer häufiger unwohl mit meinen Vorlieben. Denn fast alle, die ich kenne, gärtnern, und sei es auf der Fensterbank, oder nehmen an irgendwelchen Urban Gardening-Projekten teil oder ziehen Kartoffeln aus dem Solawi-Acker, bei dem sie Mitglied sind – während ich stattdessen lieber auf der Terrasse sitze, dicke Bücher lese und den Kindern beim Rutschen und Schaukeln zuschaue: Ist noch alles in Ordnung mit mir? Darf das sein? Könnten Pflanzen sprechen, würde die komplette Botanik im Chor rufen: Ja, es ist okay, bitte die Finger von uns lassen! Auf meiner Fensterbank geht sogar das Basilikum ein, das ich alle paar Wochen hochmotiviert im Töpfchen aus dem Supermarkt dort hinstelle. Die Natur und ich, wir pflegen eine gewisse beidseitige Distanz zueinander. Ich kenne meine Grenzen. Und weiß, dass ich mit dieser Haltung unter den Menschen, mit denen ich zu tun habe, inzwischen die Ausnahme bin. Es ist gesellschaftlich toleriert, sein Fahrrad oder Auto nicht selbst zu reparieren, sondern das einem Profi zu überlassen. Auch die Wände in meinem Haus muss ich nicht selbst verputzen können. Aber mir scheint der moralische Freiraum immer enger dafür zu werden, keinen Spaß am Einkochen von Aronia-Beeren für die eigene Marmelade zu haben und handgemachtes Bärlauchpesto lieber im Feinkostladen zu besorgen als die Zutaten dafür mit eigenen Händen aus dem 46 EINS2024
Boden zu rupfen. Von allen Seiten wird mir achtsam Mut zugesprochen, es einfach mal zu versuchen. „Gärtnern ist nicht nur für dein Gehirn sehr vorteilhaft. Dadurch kannst du auch Stress und Ängste abbauen“, schreibt eine Frauenzeitschrift. Okay, ich habe es verstanden: Wer gärtnert, ist ein guter Mensch! Ein kluger Mensch! Und gute, kluge Menschen gärtnern. Andererseits: Wenn jede und jeder im Schrebergarten wurschtelt, passt es auch wieder nicht. Wer nähme denn dann noch dankend und ungefragt die riesigen Mengen an Zucchini und Fallobst an, die bei den Gartenbegeisterten oft übrigbleiben? Eben. Um die Welt im Gleichgewicht zu halten, braucht es Nicht-Gärtnerinnen wie mich. Und was den Kapitalismus angeht, sehe ich durchaus Vorteile: Denn es ist überaus beruhigend, dass das Überleben meiner Familie nicht von meinem grünen Daumen abhängt. Ich weiß das Privileg zu schätzen, für eine ausgewogene Ernährung einfach in den nächsten Supermarkt spazieren zu können. Aber ist meine Haltung noch zeitgemäß? Was, wenn die nächste Pandemie oder etwas Vergleichbares kommt? Der jüngste virologische Ausnahmezustand hat verstärkt, was vorher vielleicht als etwas exzentrischer Trend fürs grüne Bürgertum galt: Im Lockdown wurden plötzlich überall Bananenbrote gebacken, Gärten verschönert und alte Gemüsesorten wiederentdeckt, Hashtags wie #altesorten boomen noch immer. Was noch vor 40 Jahren als Statement für die Abkehr vom Konsum verstanden wurde, schien mit einem Mal geradezu lebensnotwendig. Und wer wollte in den vergangenen Jahren nicht ab und an die Augen verschließen, sich die Ohren zuhalten und in grüne Paradiese entfliehen? Doch alles Verdrängen hilft ja nichts. Gerade in Zeiten, in denen vieles aus den Fugen zu geraten droht, kommt es aus meiner Sicht auf ganz andere Dinge an: auf Arbeitsteilung und Solidarität nämlich. Alle können in Krisenzeiten dazu beitragen, die Lebenschancen der anderen wachsen zu lassen. Wir müssen nicht alle Beete umgraben und Tomaten hochbinden. Manche organisieren lieber Fußballturniere, lesen Kindern etwas vor oder kümmern sich um die Steuererklärung. Ich bin zum Beispiel besonders gut darin, mir alles über die Königshäuser dieser Welt zu merken und unterhaltsam darüber zu erzählen. Vielleicht ist das sogar wahre Grund, wieso mich Freundinnen und Freunde gern in ihre Gärten einladen – und nicht nur, damit sie mir hinterher Tüten voller wurmstichiger Äpfel in die Hand drücken können. Das ist jedenfalls eine schöne Vorstellung. Anne Lemhöfer arbeitet als Redakteurin für das Ressort Magazin und Reportage der Frankfurter Rundschau, zudem frei für den Reiseteil der ZEIT. Kat Menschik arbeitet seit 1999 als freiberufliche Illustratorin in Berlin und Brandenburg. Sie zeichnet für Zeitungen, Magazine und Buchverlage. EINS2024 47
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