AMAZONIEN Zuerst verlieren die Menschen ihren Lebensraum, dann ihre Kultur und Sprache. Deshalb kämpfen die Munduruku im brasilianischen Amazonas um ihre Territorien. Text: Philipp Lichterbeck Fotos: Florian Kopp 14
Verbrannte Äste am Boden zeigen, dass die Goldgräber die Schilder an den Grenzen des Reservats ignoriert haben Kazike Jairo Saw Mundurukú ist der Anführer des Dorfes Sawre Aboy, Itaituba, in Pará, Brasilien S chweigend blickt Jairo Saw Munduruku auf die verbrannten Äste am Boden. Ringsum liegen die Reste eines Lagers: leere Schnapsflaschen, Plastikmüll, Dosen. Ein Pfad schlängelt sich tiefer in den Dschungel. „Sie waren hier“, murmelt Jairo Saw. „20 Kilometer entfernt graben sie nach Gold, auf unserem Land.“ Am Nachmittag haben Jairo Saw und drei seiner Stammesbrüder ein Aluminiumboot den Rio Jamanxim hinaufgesteuert. Jairo trägt rotgelbe Bänder um die Arme, ein Symbol seiner Autorität als Kazike, das bedeutet Anführer des Dorfes Sawré Aboy, das er vor einem Jahrzehnt gründete. Etwa 60 Angehörige des Munduruku-Volkes leben dort im Dschungel des brasilianischen Bundesstaats Pará, eine Tagesreise von der nächsten Stadt entfernt. Der Kazike und seine Mitstreiter sind unterwegs, um die Grenzen ihres Reservats abzufahren. Sie suchen nach den Schildern, die ihr Territorium markieren und Eindringlinge daran erinnern sollen, dass es nicht betreten werden darf. Zwei Schilder finden die Indigenen, andere wurden heruntergerissen. „Wir können kaum etwas tun“, sagt Jairo Saw in einfachem Portugiesisch. „Die Goldgräber sind bewaffnet und aggressiv. Sie fällen Bäume, reißen die Erde auf und vergiften die Flüsse. Sie empfinden Gier. Aber wahrer Reichtum ist ein sauberer Fluss. Die Eindringlinge verstehen das nicht, ihre Sprache ist eine andere.“ „Wir Munduruku haben für Wald und Natur dasselbe Wort. Wir sagen awaydip: das, was uns vervollständigt.“ Jairo Saw Munduruku steht vor einer scheinbar unlösbaren Aufgabe: die Verteidigung seiner Gemeinschaft gegen eine mächtige Idee. Sie besagt, dass die Erde eine Ressource ist, die ausgebeutet werden muss, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Dem 55-Jährigen und seinem Volk ist diese Idee fremd. „Wir Munduruku haben für Wald und Natur dasselbe Wort“, erklärt Jairo Saw auf der Rückfahrt. „Wir sagen awaydip.“ Er übersetzt es als „das, was uns vervollständigt.“ Denn ohne den Wald könnten die Munduruku nicht existieren. In Brasilien tobt ein Kampf um awaydip. Es geht um die uralte Frage, wem das Land mit seinen Schätzen gehört. Der Konflikt wird zunehmend im Amazonasbecken ausgetragen, in das die Minenindustrie, Holzfirmen, Landspekulanten, Rinderzüchter, Sojabauern und Energiekonzerne vordringen. Besonders betroffen: die Munduruku, ein Volk mit rund 18.000 Menschen, das in Dutzenden Dörfern im Einzugsgebiet des Rio Tapajós lebt, einem der größten Amazonas-Zuflüsse. Das Reservat von Jairo Saw, das den Namen Sawré Muybu trägt und doppelt so groß wie Berlin ist, wird vor allem von Goldsuchern bedroht. Der Jamanxim, einst klar und dunkel, mäandert heute schmutzig braun vor sich hin, weil Hunderte Förderplattformen das Flussbett aufwühlen. „Wir sehen die Fische nicht mehr“, sagt der Kazike. Der Strom ist außerdem stark mit Queck- 15
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