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frings. Das Misereor-Magazin 1/2024: Wir müssen reden!

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Warum treffen wir uns

Warum treffen wir uns heute hier in der Kirche St. Aegidius in Köln? G. C.: Das ist meine Heimatkirche oder wie der Kölner Büttenredner Willibert Pauls mal gesagt hat, die Mamakirche. Das ist ein Ort, wo ich sehr gerne hingehe, wo ich mich persönlich wohl fühle und wo man die Möglichkeit hat, ein bisschen zu sich zu finden. Das ist ein sehr schöner, beruhigender und positiver Ort. Ich habe mein ganzes Kirchenleben hier erleben dürfen: Taufe und Kommunionen, mein Bruder und ich waren hier beide Messdiener. Firmung, dann habe ich hier meine Frau geheiratet. Unser Sohn wurde hier getauft, ist hier zur Kommunion gegangen, ist jetzt auch Messdiener. Das heißt, Sie haben hier schon als Jugendlicher den Predigten gelauscht und sich gedacht, das kann ich aber besser? Den Wunsch, mal auf eine Bühne zu gehen, habe ich erstmals auf einer Messdienerfahrt gehabt. Unser Obermessdiener hat am Busmikrofon Willy Brandt nachgemacht und ich fand das toll. Das war so einer der Initialzündungen neben Otto Waalkes, der mich immer sehr beeindruckt hat. Wir hatten aber auch einen Diakon, der hervorragend predigen konnte und die Leute in der Kirche begeistert hat. Und als Messdiener haben wir ja auch ein bisschen Showgeschäft gelernt. Vielleicht hat das auch zum Berufswunsch beigetragen. Wurde damals auch schon Ihr Interesse an Sprache geweckt? Natürlich hat Kirche und auch ein Gottesdienst viel mit Sprache zu tun. Ich habe gemerkt, dass man damit Leute mitnehmen kann. Ich fand es immer toll, wenn es jemand nur mit Sprache geschafft hat, dass die Leute ihm zuhören. Ich merke heute noch, dass vieles, was ich damals gelernt habe, noch immer abgespeichert im Kopf ist. Klar ist aber auch, dass man mit Sprache Menschen in die richtigen Bahnen lenken kann oder auch in falsche. Wann ist die Sprache zu Ihrem Medium geworden? Sprache war bei uns in der Familie immer wichtig. Meine Mutter kommt aus Essen und spricht sehr viel. Mein Vater ist Schwabe, hat aber auch immer viele andere Dialekte nachgemacht. Angefangen hat das aber eigentlich in der Schule, da habe ich den ersten Vorlesewettbewerb in der sechsten oder siebten Klasse gewonnen. Dann war ich Klassensprecher, dazu werden ja gerne die gewählt, die eine große Klappe haben. Dann habe ich Theater gespielt. Das hat alles dazu beigetragen, dass ich irgendwann gedacht habe, wow, vor Leuten stehen ist ja toll und die mit Sprache zu beeindrucken, das kannst du anscheinend ganz gut. Ich habe aber nicht nach dem Abitur gedacht, ich werde jetzt Komiker oder schreibe Bücher. Das hat sich schon entwickelt. Mit Sprache kann man Menschen mitnehmen: Auf der Treppe der Kanzel von St. Aegidius in Köln Wie hat sich das dann weiterentwickelt? Mit 17, 18 hatte ich meine ersten Auftritte, ich glaube für eine Gage von 100 D-Mark. Ich habe viele Familiengeburtstage bespaßt und versucht, die Leute zum Lachen zu bringen. Dann habe ich aber gedacht, ich sollte mal doch etwas Bodenständiges machen und erst mal ein BWL-Studium angefangen. Ich habe aber relativ schnell gemerkt, das wird es jetzt wohl nicht. Während der Zeit, so mit 20, hatte ich aber auch meine ersten Erfolge im Karneval und habe dann BWL abgebrochen. Anschließend habe ich eine zweijährige Medienausbildung begonnen, weil ich unbedingt einen Abschluss haben wollte. Also dieses „wir lernen was Vernünftiges“. Sprache ist das, was mich immer interessiert hat. Welche Rolle hat der Karneval dann gespielt? Der Karneval war die Möglichkeit, relativ schnell auf eine Bühne zu kommen. Mein Vater, der hier im Ort in einem Karnevalsverein war, hat mich mitgenommen, das fand ich ganz spannend und vor allem, vielleicht irgendwann mal auf eine Bühne gehen zu dürfen. Dann ist da eine Nummer ausgefallen und mir wurde gesagt, stell du dich doch da mal auf die Bühne. Applaus zu bekommen, hat mir sehr 20

Arbeitet seit über 30 Jahren mit Sprache und Humor: Guido Cantz ist Comedian, Moderator und Buchautor gefallen. Damit war für mich schnell klar, das möchtest du machen. Und der Karneval war später auch die Möglichkeit, vor Tausenden Leuten aufzutreten. Was ist Ihnen lieber, die kleine Bühne, wo man im direkten Austausch steht, oder die ganz großen, wenn die ganze Halle tobt? Vor 20 Leuten auf der Bühne zu stehen ist deutlich schwieriger als vor 20.000 – was natürlich nicht die Regel ist. Wobei eine positive Reaktion eines großen Auditoriums umso intensiver und eine negative auch umso schlimmer ist. Aber ich bin keiner, der Angst auf einer großen Bühne hat. Und da ich mich sprachlich auch relativ schnell darauf einstellen kann, trete ich lieber vor mehr Leuten auf. Welche Rolle spielt dabei der Humor? Eine sehr große Rolle. Ich finde Humor gerade in den heutigen Zeiten sehr wichtig. Leute, die andere zum Lachen bringen wollen oder können, sind gefragter denn je. Bei einem guten Redner vergessen die Leute einfach mal für die Zeit, die man da vorne auf einer Bühne ist, den Alltag. Ist es im Laufe der Zeit schwieriger geworden, die Menschen mit Sprache zu erreichen? Sprache hat sich generell verändert. Ich merke das, wenn ich mit meinem 14-jährigen Sohn zusammensitze: Sprache wird einfach abgekürzt. Vor allem in den sozialen Medien muss alles kurz und kompakt sein. Auf der Bühne habe ich die Möglichkeit, ruhig mal ein paar Wörter mehr zu benutzen. Aber ich glaube, das Problem von Sprache heute ist, dass die Aufmerksamkeitsschwelle niedriger und die Konzentrationsfähigkeit eine andere geworden ist. Was bedeutet Sprache generell für Sie? Sprache ist entscheidend in allem, gerade in der Kommunikation, im Kleinen, Privaten wie im Großen. Wenn man über irgendwas spricht, dann kann man Probleme einfach klären. Nichts ist schlimmer, als wenn man schweigt und später feststellt, wir hätten mal drüber reden sollen. Sprache ist aber auch Macht, die man so oder so nutzen kann. Man kann mit Sprache viel Negatives anstellen. Es gibt ja genug Beispiele dafür in der deutschen Geschichte von 1933 bis 1945, wie man Leute damit aufstacheln kann. Auch momentan wird Sprache noch wie eine Waffe benutzt. Deswegen muss man dagegensprechen und versuchen, die Leute vom Positiven zu überzeugen. Wie wichtig ist das für Sie, Stellung zu beziehen, sowohl im Privaten als auch auf der Bühne? Das ist mir sehr wichtig und immer wichtiger geworden. Ich habe eine Zeit lang gedacht, man sollte den Leuten eher nach dem Mund reden. Ich habe aber gemerkt, dass man nicht „Everybody‘s Darling“ sein muss. Man kann sehr wohl sympathisch sein, aber auch anecken und sagen, wenn etwas falsch läuft. Es gibt viel, durchaus berechtigte Kritik an der katholischen Kirche momentan. Warum sind Sie immer noch Teil dieser Kirche? Ich habe mich öfter schon auf der Bühne und auch im Radio kritisch über unser Kölner Erzbistum geäußert und auch über unseren Kardinal. Man kann auch hier sagen, das gefällt mir oder gefällt mir nicht. Aber ich finde Kirche sehr wichtig. Viele junge Leute und Familien fühlen sich im Moment nicht berufen, mal in die Kirche zu gehen. Ich glaube aber, dass das gerade in den Zeiten, wo viel Verunsicherung herrscht, in der Zeit der Pandemie und jetzt mit den Krisen und Kriegen, die Kirche ein Teil unseres Lebens sein sollte, der Hoffnung und Sicherheit gibt. Und umso schlimmer ist es, dass es die Kirche gerade nicht schafft, viele Leute zu motivieren. Sie geben anderen Menschen durch ihr soziales Engagement eine Stimme. Was ist im Moment wichtig für Sie? Ich finde es wichtig, seine Bekanntheit zu nutzen, um Leute zu etwas zu bewegen. Im Moment engagiere ich mich gemeinsam mit meiner Frau für Kinder, denen es nicht so gut geht. Das ist ein Kinderpalliativzentrum einer Klinik in Leverkusen, das noch in der Fertigstellung ist. Ich bin angesprochen worden, ob ich Schirmherr dafür sein möchte und habe natürlich gerne zugesagt. Ich kann mit Sprache mein Geld verdienen, habe mein Hobby zum Beruf gemacht. Das ist ein großes Glück. Ich glaube, da muss man versuchen, auch ein bisschen was zurückzugeben. Michael Mondry arbeitet als Redakteur bei Misereor in Aachen. Da er in Köln wohnt, war es nur eine kurze S-Bahnfahrt nach Porz-Wahn. David Klammer lebt und arbeitet seit 20 Jahren als Porträtfotograf und Bildjournalist für alle großen Magazine wie Geo, Der Spiegel und Stern. 21

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