„Unser Ausbildungszentrum ist für viele, die vor der Gewalt geflohen sind, zu einem Zufluchtsort geworden.“ Sr. Abeba Sr. Abeba Hadgu leitet das Ausbildungszentrum der „Daughters of Charity“ in Mek‘ele, in dem Gewaltopfer, vor allem traumatisierte Frauen, unterstützt werden Ein Jahr nach dem Bürgerkrieg erwartete ich ein Land in Schockstarre. Doch ich fand ein Land, in dem auf den ersten Blick Alltag herrschte: Addis Abeba empfing mich wie eine moderne Metropole. Auch im Norden, wo gekämpft worden war, füllten Menschen die Straßen und gingen ihren Geschäften nach. Viele haben hier Gewalt erlebt: Kinder sahen ihre Eltern sterben, Familien wurden auseinandergerissen und aus ihren Dörfern vertrieben, Mädchen und Frauen vergewaltigt. Doch darüber wird nicht gesprochen. Ein großes Schweigen liegt über dem Land. Gleichzeitig herrscht auf den Straßen und Märkten Lärm, die Menschen sind optimistisch und neugierig, preisen ihre Mit der Kampfkunst lernen traumatisierte Kinder auch Körperbeherrschung und Selbstvertrauen. Und erfahren: Du schaffst das, glaub an dich, wir tun es auch! Vertrauen lernen Misereor unterstützt Ausbildungszentren in Tigray, Äthiopien. Das St. Mary’s College in Wukro schult junge Menschen in Landwirtschaft sowie in betriebswirtschaftlichen, handwerklichen und künstlerischen Fächern. Während des Bürgerkriegs musste das College schließen. Seit der Wiedereröffnung bietet es seinen Auszubildenden zusätzliche sportliche und psychosoziale Programme, die ihnen helfen, ihre Kriegserfahrungen und Traumata zu bewältigen. Das Ausbildungszentrum der Daughters of Charity in Mek’ele unterstützt ebenfalls Gewaltopfer. Neben Nothilfe und Traumabewältigung erhalten dort vor allem benachteiligte Mädchen und Frauen eine Ausbildung in Kochen und Catering oder in Design und Schneiderei. 42
Die angehende Köchin Mehrehit Tesgay strahlt Optimismus aus und möchte später in der Küche eines Hotels arbeiten. Da ihr Ausbildungszentrum einen guten Ruf hat, hat sie gute Chancen. Äthiopien gegen Äthiopien Nach zwei Jahren Krieg in Tigray einigten sich die Kriegsparteien Äthiopiens im November 2022 auf eine Waffenruhe. Der Konflikt zählt in der jüngeren Vergangenheit zu den brutalsten und tödlichsten weltweit. Die Gewalt forderte Hunderttausende Menschenleben. Viele weitere leiden heute unter den Traumata von Tötungen und Vergewaltigungen. Humanitäre Organisationen und Journalist*innen erhielten kaum Zugang zu dem Gebiet, wodurch der Krieg weitgehend verborgen blieb. Die Auseinandersetzung entstand aus einem Machtkampf zwischen der Zentralregierung unter Premierminister Abiy Ahmed, einem Friedensnobelpreisträger, und der Volksbefreiungsfront von Tigray. Der Krieg führte zu einer humanitären Katastrophe. Schneider Jemal Yosuf hat bei den „Daughters of Charity“ eine Ausbildung in Nähen und Design gemacht. Er bietet Kleider an, die andere nicht haben. Das verkauft sich gut. Waren an, alle wollen etwas verkaufen oder Dienstleistungen anbieten. Der Wille, zu überleben und nach vorne zu blicken, ist überall spürbar. Es gibt jedoch wenige Organisationen, an die man sich wenden kann. Ein staatliches soziales Netz fehlt. Vergewaltigte Frauen und Mädchen sind geächtet. Sie müssen das Beste daraus machen, dass sie noch leben. Traumatisierte Menschen suchen Hilfe bei der Kirche – Nonnen, Schwestern oder Priester bieten Unterstützung. Das Christentum hat eine jahrtausendealte Tradition in Äthiopien. Die Menschen sind sehr religiös und spirituell, es gehört zum Alltag, in die Kirche zu gehen und zu beten. Religion ist das Fundament, das das Land zusammenhält. Doch es hält die Menschen nicht vom Kämpfen ab. Auf dieser Reise wurde mir klar, wie sehr das Leben von simplen Dingen abhängt: Ohne Diesel oder Strom kann nicht operiert werden. Jede Krankheit kann bedrohlich werden, wenn kein Krankenhaus in der Nähe ist. Äthiopien ist ein von westlichen Medien übersehenes Land, mit vielen jungen Menschen, die versuchen, sich selbst Hoffnung auf Zukunft zu geben.“ Für seine Fotoarbeit benutzt Matthias Matschke ein Pseudonym: Bernadette Ypso. Das Spiel mit Identitäten hat er aus seiner Schauspielerarbeit entlehnt. Es gibt ihm die Freiheit, sich in jeder Arbeit neu zu sehen. 43
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