Die Turkana NarwaruthLopaga hat drei ihrer zehnKinder zur Schule geschickt –als „Versicherung fürs Alter“365 Windräder umzingelndas Turkana-Dorf Sarima. Vomauf ihrem Land erwirtschaftetenProfit erhalten sie nichts.des Dorfs geschickt. Eine Tochter arbeitet in der Stadt undunterstützt die Familie.Mombasan Lepatoie erinnert sich gern an die Zeit, alssie jung war; als die Bewohnerinnen und Bewohner des heutigenDorfs Loonjorin noch im nahen Gebirge lebten, ausdem der doppelköpfige Mount Nyiro herausragt, der heiligeBerg der Samburu. Mehrmals im Jahr verluden die Familiendamals ihre zerlegten Hütten auf Esel und zogen dorthin,wo es Wasser und Weide gab – im Tiefland zur Regenzeit,inmitten der Quellen und Bäche im Gebirge zur Trockenzeit.„Damals haben wir auch ganz andere Sachen gegessenals heute: Milch, Fleisch und Blut; dazu gekochte Kräuterund Blätter oder geröstete Wurzeln. Sie glauben nicht, wiestark und gesund wir damals waren – auch, wenn wir malwenig zu essen hatten. Heute essen wir tagein, tagaus Mais,Reis und Bohnen. Und selbst wenn wir große Mengen davonessen, haben wir viel weniger Energie als früher.“Ähnlich großen Respekt wie Mombasangenießt im Turkana-Dorf Sarima NarwaruthBewaffneteKonflikte sindAlltag in derRegion um denTurkana-SeeLopaga. Eine kraftvoll wirkende Frau, dieständig in Bewegung ist. Ja, Arbeit sei ihrLeben, sagt die Mutter von zehn Kindernlachend. „Wir Frauen brauchen viel Holzkohlezum Kochen. Und weil bei uns in derWüste keine Bäume wachsen, sammeln wirAkazienholz in einem Wäldchen südlich vonhier. Zehn Kilometer hin und zehn Kilometerschwerbepackt zurück – an einem Tag. Das mache ichseit 40 Jahren. Aber heute, mit 57, habe ich ständig RückenundBrustschmerzen; und wegen des vielen Rauchs in meinerKüche kann ich immer schlechter atmen.“Narwaruth ist die zweite Frau ihres Mannes. „Er hatmich, als ich 16 war, aus meinem Elternhaus geholt und zuseiner zweiten Frau gemacht. Er hat mir eine Hütte gebautund mir alles gegeben, was ich brauchte, um meine zehnKinder großzuziehen. Dass drei von ihnen zur Schule gegangensind, dazu habe ich meinen Mann überredet.“ Turkana-und auch Samburu-Männer heirateten übrigens soviele Frauen, wie sie ernähren können, erklärt Narwaruth.„So entstehen große Familien, die zu Clans mit TausendenAngehörigen heranwachsen können.“Über ein uraltes und aktuell wachsendes Problemspricht Narwaruths Nachbar, der 50-jährige Lekitelá Ameyan:„Seit vielen Jahren überfallen Samburu-Banditen unserDorf – immer wieder. Einmal haben sie 16 Menschen erschossen.Und vor acht Jahren haben sie auch mich erwischt.Seitdem kann ich meinen rechten Arm kaum nochbenutzen, mein linkes Bein ist steif. Und jetzt sind schonwieder Samburu in der Nähe. All unser Vieh haben wir zusammengetriebenund müssen es einmal mehr verteidigen.“Im Samburu-Dorf Loonjorin beklagt wenig später derDorfälteste Rempeina Leparsaiyan Überfälle von Turkana-Banditen. „Schon so oft hatten wir Frieden geschlossen mitden Turkana. Aber dann haben sie uns doch wieder angegriffen.Und unsere Leute haben zurückgeschlagen. Soschaukelt sich die Gewalt immer wieder hoch.“Bewaffnete Konflikte sind Alltag in derRegion um den Turkana-See – seit Jahrhunderten:Oft alkoholisierte junge Männerüberfallen Dörfer rivalisierender Volksgruppen,vertreiben sie von Weideland undBrunnen, rauben Vieh. All das hat nichtsmit ethnischen Konflikten zu tun. ImGegenteil: Wenn gerade Frieden herrscht,wird gern auch über Stammesgrenzen hinwegHandel betrieben und geheiratet.10 EINS2025
Bei den bewaffneten Auseinandersetzungen gehe es alleinum die zunehmend knappen natürlichen Ressourcen derRegion, erklärt Rempeina Leparsaiyan. Der Klimawandelmacht Weideland und Wasser immer knapper, währenddie Bevölkerung wächst; Politiker*innen nutzen die Gewaltfür ihre Zwecke; und immer mehr schwere Schusswaffenfinden ihren Weg in die Region. Jeder Hirte trägt eine Kalaschnikowoder ein deutsches G3-Gewehr. Und er müssedie Waffe tragen – weil der Staat in Nordkenia nicht fürSicherheit sorge.Jahrzehntelang hat sich die Regierung im fernen Nairobium den Norden des Landes kaum gekümmert: Dietrockene Region und ihre eigensinnigen Bewohner*innenwaren wirtschaftlich uninteressant. Das allerdings ändertsich seit einigen Jahren. Vor dem Hintergrund des Klimawandelsnämlich ist der Globale Norden nun bereit, Klimaschutzin Afrika finanziell zu fördern: die Speicherung vonKohlenstoff in Naturschutzgebieten und die Produktion erneuerbarerEnergie. Dafür bietet Kenias Norden gute Voraussetzungen.Und so ist das Turkana-Dorf Sarima heute umzingeltvon 365 Windrädern des 2018 eröffneten Lake TurkanaWindpower Project, gefördert von der EU, der deutschenKfW und der Afrikanischen Entwicklungsbank. Der Standortist ideal: Infolge eines Druckgefälles zwischen IndischemOzean und Sahara weht am Turkana-See ständig dersogenannte Turkana-Korridorwind mit einer Geschwindigkeitvon 40 Kilometern pro Stunde.Der Dorfälteste Kpungure Moru sieht die Windräder mit gemischtenGefühlen. Nachdenklich erzählt er von 30 Kneipenin Sarima während des Kraftwerkbaus. Alkohol seiseitdem ein Dauerproblem im Dorf. Kpungure erzählt auchvon einem Gerichtsurteil, das einige Nomaden erstritten.Der Bau des Windparks auf dem traditionell von ihnen genutztenLand ist demnach illegal. Die Betreiberfirma undKenias Regierung ignorieren dieses Urteil. Hinzu kommt:„Unser Dorf lag früher zwei Kilometer entfernt von hier. UmJulia Lenawuamuro kämpftfür einen gerechten Anteil derSamburu an den Profiten derKlimaschutzindustrieIMPACT KENYADie Misereor-Partnerorganisation Impact Kenyasetzt sich in Kenias Öffentlichkeit und vor Gerichtenfür Bürger- und Menschenrechte von Nomadenein. Ziel ist es dabei, die traditionellenLandrechte von Nomaden zu zertifizieren. DieNomaden haben Anspruch auf einen gerechtenAnteil an Gewinnen, die auf ihrem Land mit erneuerbarerEnergie und Emissionszertifikatenaus Naturschutz erzielt werden. Die Klimaschutzindustriesoll ihnen helfen, ökologisch, wirtschaftlichund sozial wertvolle Weidewirtschaftzu optimieren – anstatt sie zurückzudrängen.Der Fischfang im Turkana-See macht diese Nomadenmittlerweile unabhängigervon der ViehhaltungEINS202511
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