Platz zu machen für die Windkraftwerke, wurden wir hierherzwangsumgesiedelt und bekamen dafür eine lächerlichgeringe Entschädigung.“Andererseits, sagt Kpungure Moru, halte sich der Landverlustdurch das Kraftwerk in Grenzen: Das Vieh der Turkanadürfe unter den Windrädern grasen, einige Männerarbeiten als Wachen für das Projekt und die WasserversorgungSarimas habe sich dramatisch verbessert. Stolzdeutet der Dorfälteste auf ein nagelneues Gebäude. Es beherbergteine Anlage für sogenannte Umkehrosmose, dieSalzwasser aus einem Bohrloch in Trinkwasser verwandelt.Den Strom dafür liefern Solarpaneele, die zudem Schattenspenden. „Diese Anlage hat uns die Firma gebaut. Jetztmüssen unsere Frauen nicht mehr salziges Wasser aus demTurkana-See herschleppen, der einen ganzen Tagesmarschentfernt liegt.“Trotzdem fühlen sich die Bewohner Sarimas von derFirma über den Tisch gezogen. Warum beteilige sie dieDorfbewohner nicht an den Profiten, die sie auf ihremLand erzielt, fragt Kpungure. „Warum geben sie uns nichtsvon dem Strom, den sie auf unserem Land produzieren?“Klimawandel, Klimaschutzindustrie, bewaffnete Konflikte,bessere Schulbildung, die viele junge Leute in dieStadt abwandern lässt, dazu vielerlei Verlockungen, die dasSmartphone auch ins entlegenste Dorf trägt. Angesichts alldessen liege die Lebensweise der Hirtennomaden Nordkeniasin den letzten Zügen, meinen auch manche Samburuund Turkana. Welcher gebildete Mensch wolle schon denganzen Tag Vieh hüten?Andererseits sehen noch immer Millionen Pastoralnomadinnenund -nomaden in ihrer Lebensweise den bestenWeg, riesige Trockenregionen in Kenia landwirtschaftlichzu nutzen und so Millionen Menschen zu ernähren, diesonst in den Slums der Städte stranden würden. In derStadt lebende Samburu und Turkana investieren dort verdientesGeld in Vieh, das daheimgebliebene Verwandtehüten. Diese wiederum halten, statt empfindlicher Rinder,an den Klimawandel angepasste Ziegen und Kamele. Siekaufen und verkaufen, wenn es sich lohnt; sie nutzen denauch in Kenia wachsenden Trend bei Stadtbewohner*innen,Biofleisch zu essen. Manche Dorfgemeinschaften treibenauch bis zu 200 Meter tiefe Wasser-Bohrlöcher in den Untergrund,obwohl das Grundwasserressourcen erschöpfenund Wasserkonflikte verschärfen kann. Kurz, die Traditionder Hirtennomadinnen und -nomaden in Kenia, die seit100 Jahren immer wieder totgesagt wird, scheint noch weitentfernt von ihrem Ende.Surbhi Agrawal,eine am MIT ausgebildeteStädteplanerin, betreibtihr „Büro“ überalldort, wo sie inspirierendeBegegnungenerwarten kannThomas Kruchem fragt als Autor vieler Radioreportagen, Artikel und Bücher:Wie bewältigen wir existenzielle Krisen?Eduardo Soteras Jalil betrachtet die Welt aus vielen Perspektiven, als Dokumentarfotografpendelt er zwischen Lateinamerika, Afrika und dem Nahen Osten.12 EINS2025Nairobi bietet digitalenNomaden luxuriös-preiswerten„Co-Working-Space“ –netzwerken im Café inklusive
Thomas Kruchemhat digitale Nomadenin Kenia besuchtUND EINSAMDie 30-jährige StadtplanerinSurbhi Agrawal ist eine digitaleNomadin. Sie liebt es, unterwegszu arbeiten: online in Andalusienund Hongkong, Workshopin Nairobi, Erholung bei der Familiein Indien. Den Chefs in Boston istes recht, solange die Arbeit nichtleidet. Tausende digitale Nomaden,hochqualifizierte Fachkräfte, lebenin Nairobi – für eine Weile, bevor sie weiter nach Johannesburgoder auf die Seychellen fliegen: Grafikdesigner, Softwareentwicklerinnen,Blogger, Architektinnen, Anwälte.Viele arbeiten, wie Surbhi, im Hotel, andere in Airbnb-Unterkünften, Cafés oder einem luxuriösen Co-Working-Space:Schreibtisch mit bestem Internet, Zugang zuBesprechungsräumen, Restaurant, Terrassenbar und Networking-Events– für 150 Dollar im Monat.„Was reizt Sie am Unterwegssein, Surbhi?“ „Die Freiheit,immer neue kulturelle und persönliche Impulse und, speziellin Kenia, die atemberaubende Natur. Nur leider fehltmir die Zeit dafür“, antwortet die junge Frau, während sieauch beim Lunch in ihren Laptop tippt.Datenanalytiker David Summer (Name geändert) unterstütztKonzerne wie DHL und Siemens dabei, ihre Softwarenutzungzu optimieren. Anfang 2024 wurde es ihm, seinerebenfalls online arbeitenden Frau und den drei Kindern zulangweilig in der britischen Provinz; sie beschlossen, aneinem Ort zu arbeiten und zu leben, wo sie täglich Neuesentdecken können. In Nairobi haben sie ein Haus gemietetund zahlen hohe Schulgebühren.Freiheit, Abenteuer, kulturelle Impulse: Was sich digitaleNomaden von ihrem Arbeitsleben erhoffen, hat lautDavid mit wirklichen Nomaden wenig gemein. „Diese müssen,um unter kargen Bedingungen zu überleben, strengensozialen Regeln folgen.“Nairobi ist bei digitalen Nomad*innen beliebt: Das Lebenist günstiger als in der Heimat, die Menschen sindkontaktfreudig, die Wildnis beginnt gleich außerhalb derStadt, Steuern lassen sichweitgehend vermeiden – undnun hat auch noch KeniasRegierung ein unbürokratischesVisum für digitale Nomad*innenangekündigt, diemehr als 50.000 US-Dollar imJahr verdienen. Solche Leute,meint die Regierung, nutzenKenia: Sie bringen Innovationund neue Impulse; siegeben Geld aus – für Essen,Auto, touristischeAttraktionen, Miete.Doch hier beginntein Problem: Rund20 Prozent der Apartmentsin den Wohnviertelnder Mittelschicht sindneuerdings Airbnb-GästenDigitale Nomadenerhoffen sich Freiheit,Abenteuer und kulturelleImpulse von ihremArbeitsleben. Einigefinden Einsamkeit.vorbehalten – die pro Woche oft mehr zahlen als einheimischeMieter im Monat. Digitale Nomaden und Tourist*innentreiben so die Mieten in die Höhe – kritisieren Kenianerim persönlichen Gespräch. Demonstrationen gegen Ausländerwie in Spanien und Griechenland oder auf Bali gibtes noch nicht in Nairobi; aber – so eine Immobilienmaklerin– sie könnten noch kommen.Und wie steht es um die Gefühlswelt? Einige Bekannteklagten, dass bei ihnen die Grenze zwischen Freizeit undBeruf zu sehr verschwimme, erzählt Surbhi Agrawal. Siehätten chronisch ein schlechtes Gewissen. Sie selbst leidetbisweilen unter Einsamkeit. Die Familie und alle Freundesind weit weg; unterwegs kann man tiefere menschlicheBeziehungen kaum aufbauen; und man werde – mit immerhin30 – auch nicht jünger.Heimat, sagt schließlich David Summer, sei eine derwichtigsten Begriffe für seine Frau, der seit Kurzem dasimprovisierte Leben in Afrika nicht mehr behagt. Siedrängt auf Heimkehr – in die britische Provinz.EINS202513
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