Aufrufe
vor 1 Woche

frings. Das Misereor-Magazin 1/2025: Reisen und die Welt erleben

  • Text
  • Menschen
  • Misereor
  • Republik
  • Haiti
  • Welt
  • Favela
  • Zeit
  • Stadt
  • Tourismus
  • Wwwmisereorde
Ein Heft über Tourismus und Entwicklung www.misereor.de/magazin

18

18 EINS2025

WO WIRDDENN HIERAutor Niklas Franzen erkundet die Favelasvon Rio de Janeiro jenseits der KlischeesText von Niklas FranzenFotos von Bruno ItanIllustration: Shutterstock/Andrei KuklaBruno Mendes steigt die steile Treppe hinab undruft: „Haltet euch gut fest!“ Zehn Menschen klammernsich ans Geländer und tasten sich vorsichtigherunter. Kameras baumeln um ihre Hälse, Sonnencremeglänzt auf der Haut. Unten eröffnet sich ein atemberaubenderBlick auf ein Labyrinth aus unverputzten Backsteinmauernund unzähligen Wellblechdächern. Die Siedlungklettert den Berg hinauf. „Für uns Arme gab es keinen Platzin der Stadt“, sagt Mendes auf Englisch und zeigt auf dasPanorama. „Also bauten wir unsere Häuser die Hügel hoch.“Mendes, 39, schlaksig, arbeitet als Touristenführer inder größten Favela Brasiliens: Rocinha – „kleine Farm“. Sieliegt im wohlhabenden Süden Rio de Janeiros, am Horizontglitzert der Atlantik. Etwa 72.000 Menschen leben hier, genauweiß das niemand. Sushi-Restaurants, Fitnessstudiosund Banken stehen neben baufälligen Hütten, die kaumdem Regen trotzen. Eine Stadt in der Stadt.Die Gruppe ist bunt gemischt, die Gäste kommen ausFrankreich, Israel, Australien und den USA. In einer engen,dunklen Gasse hält Mendes an. Durch offene Türen undFenster blickt man direkt in die kleinen Häuschen, manchesind kaum 20 Quadratmeter groß. „Hunderte Menschenteilen sich die gleiche Adresse“, erklärt der Guide. Der Postbotekommt nicht bis hierher, auch Krankenwagen fahrennur bis zur Hauptstraße. „In der Favela sind wir auf dieHilfe unserer Nachbarn angewiesen.“Überall schlendern schwitzende Urlauber durch die Rocinha.Viele Wände sind bunt bemalt, an den Straßeneckenwerden Armbänder verkauft, Kinder führen Capoeira vor.Favela-Touren sind mittlerweile ein fester Bestandteil desTourismus der Stadt. Unzählige Anbieter werben mit „authentischenErlebnissen“. Rocinha empfängt mehr Besucher*innenals die Christusstatue. Was bedeutet das für dieMenschen, die hier leben?Der Name Favela stammtvon einer dornigen Pflanzemit brennenden Härchen,die Soldaten Ende des 19.Jahrhunderts im Canudos-Krieg kennenlernten. Als diemittellosen Soldaten nachRio de Janeiro zurückkehrtenund keine UnterkunftDie Faszinationfür Favelas begannbereits vor30 Jahrenfanden, ließen sie sich auf den Hügeln nieder – und nanntenihre Siedlungen Favelas. Heute gelten die comunidadesals Symbol für soziale Ungleichheit, ein Sinnbild für Armutund Gewalt. Aber sie sind viel mehr. „Mit meinen Tourenwill ich Vorurteile abbauen“, sagt Mendes, während seineGäste Käsebällchen probieren. „Die Gringos sollen die positivenSeiten sehen.“Bruno Mendes’ Geschichte ist die Geschichte vieler ausder Rocinha. Seine Eltern zog es auf der Suche nach einemEINS202519

© 2022 by YUMPU