geht. Überall sitzen junge Männer, manchefast noch Kinder, mit schweren Sturmgewehrenüber der Schulter. Die „traficantes“,die Drogendealer, liefern sich immer wiederstundenlange Schusswechsel mit derPolizei. Wenn Favelas im Fernsehen auftauchen,sind es oft genau diese Bilder.Mendes will ein anderes zeigen. Erführt die Gruppe zum öffentlichen Krankenhaus,einem weißen, länglichen Klotz.„Es gibt hier eine Grundversorgung“, sagter. Doch bei ernsten Problemen müssendie Menschen in die Stadt hinunter,außerhalb der Favela. Die Tourist*innenschütteln kurz mitfühlend den Kopf, fotografieren– und ziehen weiter.Der Tourismus sichert Menschen ein stabilesEinkommen. Doch oft verklärt er das Elendund prägt so den Blick auf Siedlungen wiediese. In einem Land wie Brasilien, das vonKolonialismus und Sklaverei gezeichnet ist,bleibt das problematisch. Bruno Thierry, 34,ein kräftiger Mann im Fußballtrikot, stehtauf der Dachterrasse eines vierstöckigenRohbaus und drückt den Aufnahmeknopfseines Smartphones. „Leute, guckt euchdiesen Ausblick an.“ Die Kamera schwenktVollzeit-Influencer BrunoThierry oder Rocky Cria dreht über die Dächer.mit dem Smartphone neues Thierry, bekannt als Rocky Cria, ist Vollzeit-Influencerund dreht humorvolle VideosVideomaterial aus der Favelaüber das Leben in der Favela. Vor ein paarWochen postete er ein Foto: Jeeps, die durchbesseren Leben in die große Stadt am Zuckerhut. Mendes die Favela rollen. Tourist*innen erkunden das Viertel aucharbeitete hier und da, als Taxifahrer, kurz in einem Hotel. auf vier Rädern – Rocinha ist oft nur ein kurzer Stopp auf ihrerRoute. „Menschensafari“, kommentierte jemand. AuchAls ein Freund eine kleine Tourismus-Agentur gründete,brachte sich Mendes selbst Englisch bei. Seit zehn Jahren Thierry sieht das kritisch. „Sie fahren eine Stunde durch unserViertel, reden mit niemandem, kaufen nichts.“ Viel bes-führt er Besucher*innen durch seine Favela. Ein Traumjob.Auf der Rua 1 tobt das typische Chaos der Favela. Motorräderknattern vorbei, aus gekachelten Kirchen dröhnt Thierry zog mit zehn Jahren aus dem Bundesstaat Pasersei es, die Favela zu Fuß zu erkunden, mit Locals wie ihm.Gospelmusik, ein junger Mann schlendert mit einem Äffchenauf der Schulter. An einer Straßenecke dreht sich schiefe Bahn zu geraten wie viele andere. Heute verdient erraíba nach Rocinha und kämpfte sich durch, ohne auf dieMendes zur Gruppe um. „Hier bitte keine Fotos!“ Warum, sein Geld mit Videos und großen Werbekampagnen. Baldwird klar, wenn man ohne Guide durch das Herz der Favela will er auch vom Tourismus profitieren. Er zeigt auf eine20 EINS2025
Die „gefährlichenFavelas“ ziehen immermehr YouTuberund Influencer anBruno Mendes führt Tourist*innendurch eine der größtenFavelas Brasiliens undwill damit Vorurteile abbauenEcke der Terrasse: „Hier soll ein Pool hin, dort ein Grill.“Das Gebäude will er in Ferienwohnungen verwandeln.Auch Thierry liegt daran, ein anderes Bild der Favelazu zeigen. Doch die klassischen Klischees verkaufen sicham besten. Er öffnet ein Video eines Polizeieinsatzes vorein paar Tagen. Schüsse hallen – bum bum bum. Thierryerklärt, was man bei einer Schießerei tun sollte. Daruntersteht eine Zahl: 10 Millionen Views. Solche Videos gehen viral,sagt er. Die „gefährlichen Favelas“ locken immer mehrYouTuber und Influencer*innen an – Menschen, die mitsensationsheischenden Inhalten im Netz Geld verdienen.Einige Tourist*innen kommen nur, um die Jungs mit denschweren Waffen zu sehen.Die Faszination für Favelas begann vor 30 Jahren. Damalsdrehte Michael Jackson ein Musikvideo in der FavelaDona Marta und machte die Siedlungen von Rio weltberühmt.Kurz darauf starteten die ersten organisierten Touren.Mit der Fußball-WM 2014 und den Olympischen Spielen2016 erlebte der Favela-Tourismus einen Boom. Immermehr Besucher*innen strömten in die Viertel, Hostels öffneten,Prominente kauften Häuser. Doch an den sozialenProblemen änderte sich wenig. In einigen Favelas triebensteigende Mieten und Immobilienspekulation die Bewohner*innenan den Rand: Die Gentrifizierung hielt Einzug.Nur wenige Favelas im reichen Süden der Stadt ziehenAußenstehende an. Die meisten liegen im Norden undWesten, fernab der Postkartenmotive der Cidade Maravilhosa.Der Complexo da Maré, ein Verbund von 16 Favelasim Norden, beherbergt etwa 140.000 Menschen auf engemRaum, eingezwängt zwischen zwei großen Verkehrsadern.Luiz Oliveira ist der Gründerdes „Museu da Maré“ underzählt die Geschichte seinerFavela am liebsten selbstHier lebt Luiz Oliveira, 57, mit breitem Lächeln. Seit über 40Jahren engagiert er sich für seine Nachbarschaft. Inspiriertvon der Befreiungstheologie erzählen er und seine Mitstreiter*innendie Geschichte der Besiedlung selbst.2006 gründeten sie das „Museu da Maré“, ein Projektder Misereor-Partnerorganisation CEASM, in einer ehemaligenFabrik nahe der Autobahn. Das Museum zeigt eineDauerausstellung zur Geschichte der Favela mit Fotografien,religiösen Artefakten und einem Bar-Nachbau. Oliveiraverbindet beim Rundgang Daten, Zahlen und persönlicheAnekdoten zu einem historischen Abriss. In der Mitte stehteine „Palafita“, ein Stelzenbau, der einst das Bild der FavelaMaré prägte. Heute ist er verschwunden.Auf Stadtplänen für Besucher*innen fehlt die Maré bisheute. „Die Touristenrouten führen nur in die reiche Südzone“,sagt Oliveira. Es gibt keinen Kontakt zur Tourismusverwaltung.Tourismus in der Maré zu etablieren sei schwierig,räumt Oliveira ein. Es fehlt an spektakulären Aussichtenund einer nahen U-Bahn-Station. Viele Taxifahrer meidenEINS202521
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