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frings. Das Misereor-Magazin 1/2025: Reisen und die Welt erleben

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der eigentlich für

der eigentlich für Flugreisen gedacht war, hoffte ich, dassalles gutging. Es fühlte sich surreal an.Das Skurrilste ereignete sich jedoch erst im Tschad. Aufder anderen Seite des Ufers wartete der Bischof der StadtYagoua. Wir begrüßten uns kurz, stiegen ins Auto und fuhreneine halbe Stunde bis zur nächsten Stadt.Irgendwann bemerkte ich, dass ein weiterer Mitfahrerkein Wort sagte. Ich schenkte ihm kaum Beachtung undnahm an, dass er zum Bischof gehörte. Erst am Abend stelltesich heraus: Auch der Bischof kannte ihn nicht und dachte,er gehöre zu mir. Ein Fremder hatte sich einfach zu unsgesetzt und eine kostenlose Fahrt genossen. Wir lachtenüber die absurde Situation, aber später wurde mir bewusst,wie gefährlich das hätte werden können.„In der Türkeidarf mankeine Fotosvon Grenzpostenmachen!“Madeleine Wörnerist seit 2022Referentin fürEnergiepolitik beiMisereorFoto: Madeleine WörnerUNTER BEOBACHTUNGIm November 2024 reiste ich zur Weltklimakonferenznach Baku, Aserbaidschan. Die Hinreise gestaltete sichungewöhnlich, das eigentliche Abenteuer erlebte ichjedoch auf der Rückreise. Ich plante, von Istanbul ausmit dem Fahrrad nach Aachen zu fahren. Ein Kollegehatte mein Fahrrad bereits in die Türkei mitgenommen.Nach der Klimakonferenz reiste ich mit dem Bus in dieTürkei, packte meine Fahrradtaschen und startete meineTour. Nahe der griechischen Grenze entdeckte ichzwei weitere Radfahrer am Straßenrand. Sie wolltenebenfalls zur Grenze und schlossen sich mir an.Nach einer Weile wurde ich unruhig. Eine Personfuhr ständig vor mir, die andere hinter mir, als eskortiertensie mich. Ohne aufs Navi zu schauen, schlugeiner von ihnen vor: „Komm, wir nehmen eine andereRoute. Hier darfst du nicht langfahren.“ Das irritiertemich. Warum interessierte es sie so sehr, wohin ichfuhr? Der Weg führte tatsächlich an einem militärischenSperrgebiet entlang. Ich ließ mich jedoch nicht beirren.Ohne ein weiteres Wort verließen sie mich. KurzeZeit später erreichte ich den Grenzzaun. Hier ging estatsächlich nicht weiter. Hatten meine Mitfahrer etwaRecht gehabt? Ich machte ein Foto und fuhrden Umweg über ein Dorf nahe der griechischenGrenze. Einmal stoppte ich, um eingelbes Fahrrad zu fotografieren. Plötzlich riefmich eine Stimme auf Deutsch an: „Hey, duauf dem Fahrrad, lass uns doch einen Kaffeetrinken.“Der Rufer stellte sich als deutscher Honorarkonsulvor. Was für ein Zufall, dachteich, und stimmte zu. Ich wollte ohnehin einePause machen. Wir unterhielten uns über dieRegion. Doch ich spürte, dass etwas nichtstimmte. Kurz darauf sagte mein Gesprächspartner:„In der Türkei darf man keine Fotosvon Grenzposten machen!“ Das ließ michaufhorchen. Woher wusste er, dass ich diesauf der vorherigen Route getan hatte? Wiesowar dieser Mensch ausgerechnet jetzt hieraufgetaucht?Ich fuhr mit mulmigen Gefühlen weiter.Erst zwei eskortierende Radfahrer, dann einscheinbar zufälliges Treffen mit einem Konsul.Bis heute weiß ich nicht, ob und warumich gezielt beobachtet wurde. Einen gutenMonat später kam ich sicher in Aachen an.24 EINS2025

Foto: Fahlbusch/MisereorGEWALT UND STRASSENSPERRENIm Oktober und Dezember 2024 reiste ich in den Osten derDemokratischen Republik Kongo. Der Konflikt um wertvolleRohstoffe wie Gold, Koltan und Wolfram dauert dort seitJahrzehnten an. Milizen wie die M23 und die Allied DemocraticForces plündern, töten und vergewaltigen. Misereorfördert deshalb Projekte, die den wohl am schlimmsten Betroffenenhelfen sollen: Frauen und Kindern.Ich beschäftige mich seit Jahren mit dem Ostkongo.Eigentlich wusste ich also, was mich erwartet – doch dieRealität brachte mich dennoch an meine Grenzen: In einemDorf besuchte ich eine Selbsthilfegruppe traumatisierterFrauen. Die Frauen saßen mit gesenktem Blick dort, biseine von ihnen zu sprechen begann. Sie hatte ihren Mannund ihre Kinder verloren – ermordet vor ihren Augen. Alsmir ihre Worte übersetzt wurden, hielt ich den Atem an.Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, außer, dass ich siesah und mitfühlte.Kurz danach gelangten wir an eine Straßensperre. EinTeenager mit einer Kalaschnikow unter dem Arm stoppteuns und verlangte Geld. Er wirkte unsicher, und ich bin mirsicher, dass auch er in gewisser Weise keine Wahl hatte. ImOstkongo sind Milizen oft die einzige Möglichkeit, zu überleben.Gewalt ist allgegenwärtig, der Staat gescheitert.Auf der Reise wurde mir bewusst: Meine Rolle ist mehr,als nur den Fortschritt der Projekte zu begutachten. Es gehtum Anerkennung und Solidarität. Ich wollte zeigen, dasssie nicht vergessen sind. Dass es Menschen gibt, die sich fürsie einsetzen.Astrid Meyerist Länderreferentinfür die DemokratischeRepublik Kongobei MisereorFoto: Fahlbusch/MisereorCora Laes-Fettbackist Leiterin der DialogundVerbindungsstellevon Misereor inSuva/FidschiGEFÄHRLICHES GEPÄCKEine Flasche Kaffeelikör hätte mich im Jahr 2004 fastins Gefängnis gebracht. Damals arbeitete ich als Landesreferentinfür den Sudan. Zu dieser Zeit tobte einBürgerkrieg zwischen dem islamischen Norden unddem christlichen Süden des Landes. Ich reiste regelmäßigin den Süden, doch diesmal führte mich meineReise nach Khartum im Norden.Der Likör war ein Geschenk für eine Mitarbeiterinunserer Partnerorganisation im Süden. Weil ich sienicht antraf, blieb der Alkohol in meinem Gepäck, alsich nach Khartum weiterflog.Im Flugzeug erzählte ich einer Kollegin beiläufigvon dem Likör. Sie schaute mich entsetzt an und fragte,ob ich nicht wisse, dass man wegen der strengenislamischen Regeln keinen Alkohol einführen dürfe. Ichwurde blass und stellte mir bereits vor, im Gefängniszu landen. Am Flughafen wurde jeder Koffer kontrolliert.Ich bete selten, aber in diesem Moment tat ich es. Alsich an der Reihe war, öffnete der Grenzbeamte geradeden Reißverschluss meines Koffers, als plötzlich dasLicht ausging – Stromausfall! Die Beamten winktenmich und die anderen Reisenden einfach weiter, ohnedas restliche Gepäck zu durchsuchen. Ich spürte eineimmense Erleichterung. Am Abend lud ich die Kolleg*innenin mein Hotelzimmer ein, um heimlich ausZahnputzbechern den Likör zu trinken.Leon Kirschgens lebt als freier Journalist in Aachen. Er geht gern zu Fuß durchdie Welt und über Grenzen und braucht dafür nicht immer Gesellschaft.EINS202525

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