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frings. Das Misereor-Magazin 1/2025: Reisen und die Welt erleben

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ZWISCHENRUFSPRICHTText

ZWISCHENRUFSPRICHTText von Raoul BagophaAFRIKANISCH!“Beginnen wir damit, einige hartnäckige Klischees über Afrika beiseitezuschieben,indem wir an Tatsachen erinnern, die für viele Nicht-Afrikaner*innen immer nochnicht selbstverständlich sind.Foto: istock/nattrassErstens: Nein, die Afrikaner wohnen nicht alle in Hüttenoder Zelten. In allen Ländern Afrikas gibt es tatsächlichWasserleitungen und Supermärkte. Ja, in diesenSupermärkten findet man nicht nur frische Avocados, Bananenund Papayas oder Maniok!Zweitens: Nein, Afrika ist nicht ein einziges, unendlich großesLand. Und nein, kein Mensch spricht Afrikanisch. Afrikaist ein Kontinent, der aus 54 Ländern besteht, die sich alledurch ihre politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bedingungenunterscheiden. Im politischen Bereich habenzum Beispiel einige Länder Könige an der Spitze des Staates,während andere von Premierministern oder Präsidentenregiert werden. In Afrika werden mehr als 2.000 verschiedeneSprachen gesprochen, mehr als auf jedem anderenKontinent.Auf dem afrikanischenKontinent gibt es zahlreichepulsierendeMetropolen wie KapstadtDrittens: Nein, Afrika besteht nicht nur aus Dörfern und Trommeln.Da gibt es die urbanen Metropolen wie Lagos, Nairobioder Kapstadt, pulsierende Städte wie jede amerikanische,asiatische oder europäische Stadt. Afrika ist zwar ein Spätzünderbei der Digitalisierung, aber auch ein schnellerTechnologieanwender. Ja, es gibt dort WLAN – es funktioniertmanchenorts sogar oft besser als in manchen Ortenin Deutschland.34 EINS2025

Foto: Fahlbusch/MisereorFoto: picture alliance/Akintunde AkinleyeNach Bollywood in Indienist Nollywood in Nigeria diezweitgrößte Filmproduktionskraftder Welt – vor HollywoodViertens: Nein, Menschenund Tiere lebennicht immer zusammen.Ja, es gibt die sogenanntenBig Five:Elefanten, Löwen, Nashörner,Leoparden und Büffel, die Großwildjäger schonimmer fasziniert haben. Aber diese Big Five sind nichtdie Sache von Millionen von Afrikaner*innen, die sich inder Regel auf drei große Themen konzentrieren: Bildung,Arbeit und Familie: Eine würdevolle Pflege für ihre Elternsowie eine gute Zukunft für ihre Kinder, die für sie dengrößten Reichtum darstellen.Fünftens: Nein, der Dschungel oder ‚Urwald‘ ist nicht für alleein tropisches Paradies. In vielen Teilen Afrikas gibt es inder Tat viel mehr als das. Es gibt moderne Städte, Autobahnen,Einkaufszentren – ja, sogar Google Maps. Die Filmindustriefloriert beispielsweise in Nigeria. Zwar sind diegeschätzten Kosten der nigerianischen Filmproduktionsehr niedrig, aber Nollywood in Nigeria ist die zweitgrößteFilmproduktionskraft der Welt, nach Bollywood in Indien,aber vor Hollywood in den USA. Und noch eins: GPS funktioniertsogar in der Wüste Afrikas!Sechstens: Nein, das Patriarchat ist in Afrika nicht universell.Das Wort „Patriarchat“ bedeutet bekanntlich „Herrschaftdes Vaters“ und spiegelt die Tatsache wider, dass langeZeit geglaubt wurde, dass männliche Macht in der Familiebeginnt, wobei die Männer dem Haushalt vorstehen unddie Macht vom Vater auf den Sohn übertragen wird. DieseKultur ist in Afrika recht weit verbreitet. Es gibt jedochviele Gesellschaften mit matriarchaler Abstammung inAfrika. In diesen Gesellschaften werden Individuen seitGenerationen als Angehörige der Familie mütterlicherseitsbetrachtet und Erbschaften werden von Mutter zu Tochterweitergegeben. In matriarchalen Gemeinschaften sindMacht und Einfluss häufig zwischen Frauen und MännernDr. Raoul Bagopha, geboren und aufgewachsen inKamerun, studierte Politikwissenschaften und arbeitetseit 2005 als Regionalreferent in der Hauptabteilungfür internationale Zusammenarbeit vonMisereor. Er engagiert sich in verschiedenen Arbeitsgruppenzum Thema Dekolonialisierung. Er reist gerne,weil er keinen Ort kennt, der allein ihn alles lehrenkann.aufgeteilt. Ein Beispiel hierfür sind die matriarchalen Gemeinschaftender Asante in Ghana. Hier wird die Führungzwischen der Königinmutter und einem männlichen Anführer,den sie mit auswählt, geteilt.Siebtens: Nein, die ethnische Zugehörigkeit ist nicht die einzigeUrsache für Konflikte in Afrika. Sonst gäbe es in Afrikaüberall und ständig Kriege. Es wäre falsch, die Existenzvon „Ethnien“ im Sinne einer „Identität“, die sich von eineranderen Gruppe unterscheidet, zu leugnen. Es wäre auchfalsch, Ethnien nur als künstliche Gruppen zu betrachten,die zum Zweck der Manipulation oder der politischen Herrschaft,insbesondere durch den Kolonialherren, geschaffenwurden. Ja, die meiste Zeit leben ethnische Gruppen inAfrika friedlich nebeneinander und miteinander. Was aufden ersten Blick wie Kämpfe zwischen ethnischen Gruppenaussieht, ist sehr oft vollständig mit Kämpfen zwischen Elitenum politische und wirtschaftliche Macht verbunden.Fazit: Diejenigen, die noch immer mit Klischees, Gewissheitenund einer Kamera nach Afrika reisen, sollten denKontinent mit einem offenen Geist und der Bereitschaftzu lernen besuchen. Sie werden überrascht sein, wie vielsie entdecken. Wer nicht nur lernt, wie Afrikaner*innensterben, sondern auch und vor allem wie sie leben, wird bereichertsein!EINS202535

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