Text von Susanne Kaiser Fotos von Klaus Mellenthin Ursule weiß, wie schwierig es ist, als Reisbäuerin im zentralen Hochland von Madagaskar zu überleben W enn Reisbäuerin Ursule Rasolomanana neben ihrem Haus steht, oben auf einem Hügel abseits vom Dorf Ankaditapaka, dann wandert ihr Blick über die weite Landschaft, als würde sie die Hügel, die Felder und den Fluss zum allerersten Mal sehen. „Ich wollte immer frei sein“, sagt sie. Dieser Hof ist ihr Reich, sie bestimmt. Das Haus hat Ursule zusammen mit ihrem Mann gebaut, die ersten Steine dafür haben sie selbst hergestellt. Man merkt, dass es der jungen Frau viel bedeutet – dass sie hier ganz bei sich sein kann. Sie erzählt von ihren Ideen und Träumen, spricht offen über ihre Gefühle. Und wird mit einem Mal traurig. „Ich habe schon mit 17 geheiratet – aus Enttäuschung“, beginnt Ursule ihre Geschichte. Das hat ihre Möglichkeiten damals ziemlich begrenzt. Ursule musste die Schule mit zwölf Jahren in der 7. Klasse abbrechen, nachdem ihr Vater plötzlich gestorben war. „Meine Mutter konnte sich das Schulgeld nicht mehr leisten. Ich war wahnsinnig traurig, denn das war alles, was ich wollte: lernen. Vor allem Sprachen. Also habe ich eine Familie gegründet, es gab für mich keine andere Perspektive.“ Ursules Traum vom Leben als Übersetzerin war damit gestorben. Aber vielleicht war das für ein Mädchen vom Dorf im Hochland Madagaskars ohnehin utopisch. Das Leben als Frau auf dem Land ist hier extrem schwierig „Das Leben als Frau auf dem Land ist hier extrem schwierig“, sagt Ordensschwester Modestine Rasolofoarivola. „Frauen dürfen kaum mitbestimmen, die Entscheidungen treffen Männer. Obwohl Frauen einen Großteil der Arbeit leisten.“ Sie leitet die Organisation Vahatra, die besonders Reisbäuerinnen dabei hilft, sich mit Entscheidungen und Ideen selbstbewusst auf die eigenen Füße zu stellen und sich gegen die männliche, patriarchale Vorherrschaft durchzusetzen. „Die Lebensbedingungen in den ländlichen Gegenden sind nicht gut: Es gibt kein fließendes Wasser, keine Gesundheitsversorgung, unsere Straßen sind schlecht, die Leute sind arm und fühlen sich damit alleine gelassen.“ Ein Dorf wie Ankaditapaka lässt sich auf keiner Landkarte finden, der Weg zum nächsten Ort Tsiroanomandidy, wo es ein Krankenhaus und einen Markt gibt, liegt mit dem Fahrrad gute zwei Stunden entfernt. Auf dem Land sind die Leute also auf sich selbst gestellt, was auch immer passiert. „Wir haben früher ausschließlich Reis gepflanzt und die Ernte selbst verbraucht. Wir hatten also nur das und konnten uns auch nichts anderes leisten“, erzählt Ursule davon, Ihr eigenes Haus bedeutet Ursule Rasolomanana sehr viel, sie hat es gemeinsam mit ihrem Mann gebaut 10 ZWEI2022
wie es ist, Reisbäuerin im zentralen Hochland zu sein. Wenn man von der Hand in den Mund lebt und überhaupt kein Geld hat, ist man immer von irgendwem abhängig. Ursule wohnte lange mit ihren drei Kindern und ihrem Mann bei den Schwiegereltern, alle fünf zusammen in einem Zimmer unten im Haus, mitten im Dorf. Das bedeutete, dass die 28-Jährige kaum Entscheidungen für sich oder ihre Familie treffen konnte – immer redeten ihr die Eltern des Mannes rein, wussten es besser oder bestimmten Die Frauen nehmen das bisschen, hinweg. Nicht nur die einfach über ihren Kopf Schwiegereltern – die ganze Dorfgemeinschaft. Als was sie haben, ich Ursule einmal frage, in die Hand und machen etwas Um Brennholz zu sparen, hilft Schwester Modestine im Haus von Ursule eine neue Feuerstelle zu töpfern ob sie gerne zu Versammlungen auf dem Dorfplatz geht, schweigt sie. Für sie antwortet ei-ne ältere Frau: „Sie geht sehr gerne zu den Versammlungen.“ In der Gesellschaft des Dorfes wird Ursules Gesicht augenblicklich unlesbar, ihre Mimik festgefroren. Offensichtlich fühlt sich die junge Frau hier nicht wohl, wo Ältere den Ton angeben. Ganz anders als in ihrem Reich auf dem Hügel. Deshalb wollte sie unbedingt ihr eigenes Haus bauen. Erst sparte Ursule vom Reis etwas ab. Wie das geht, hat sie in einem Verein gelernt, den Vahatra in Ankaditapaka gegründet hatte. Immer ein bisschen, bis das Geld für Baumaterialien reichte. „Es war so anstrengend, die Steine selbst zu brennen, dass wir sie irgendwann lieber kauften, auch wenn das natürlich teurer ist“, erzählt die Reisbäuerin. Sie und ihr Mann mauerten, zimmerten, hämmerten, Ursule daraus Fortsetzung auf Seite 13 ZWEI2022 11
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