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frings. Das Misereor-Magazin 2/2022: Mut finden.

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Mut finden: Ein Heft über das Hinfallen, Aufstehen und Weitermachen. www.misereor.de/magazin

Reisbäuerin Ursule

Reisbäuerin Ursule Rasolomanana hat sich trotz widriger Lebensumstände nicht entmutigen lassen. Susanne Kaiser hat nach den Gründen gefragt. Unabhängig sein von anderen: Ursule pflanzt Obstbäume und Gemüsesorten und lagert Reis in der Reisbank ein Wie ist das Leben als Reisbäuerin hier im zentralen Hochland Madagaskars? Ursule Rasolomanana: Den ganzen Tag Reis anbauen kann ganz schön eintönig sein – und es reicht nie. Es ist ein ständiger Kampf. Ich überlege mir deshalb immer wieder, mit was wir unser Einkommen aufbessern könnten: neue Obstbäume und Gemüsesorten pflanzen, Tiere züchten, Reis in der Reisbank einlagern und verkaufen, wenn die Preise hoch sind. Wir waren immer abhängig von anderen, als wir nur von unseren Reisfeldern lebten und alles immer gleich verbrauchten. Hatten Sie eine Wahl? Ich musste die Schule mit zwölf Jahren in der 7. Klasse verlassen. Meine Mutter konnte sich das Schulgeld für uns Kinder nicht mehr leisten, nachdem mein Vater gestorben war. Ich habe damals keine andere Möglichkeit gesehen, als eine Familie zu gründen. Dann kämpft man wenigstens nicht mehr alleine mit dem Leben. Jetzt wohnen Sie in ihren eigenen vier Wänden. Wie haben Sie das geschafft? Ich wollte unbedingt unabhängig sein. Ich habe gelernt, wie man das Wenige, was da ist, in die Hand nimmt und daraus etwas macht – wie man mit Reis wirtschaftet. Dadurch konnte ich etwas beiseitelegen, immer ein bisschen mehr. Davon kaufte ich zwei Hühner für die Zucht, später Schweine. Dann pflanzte ich Mangos, die bringen viel mehr als Reis. Irgendwann hatte ich so viel zusammen, dass es für die ersten Steine reichte. Jahr für Jahr konnten wir das Haus ein Stückchen weiterbauen. Gerade sind wir in das erste fertige Zimmer eingezogen. Sind Sie heute unabhängig? Ja! Und ich werde immer mehr respektiert in meinem Dorf. Die Leute, auch die älteren, sehen, was wir mit kleinen Veränderungen erreichen. Niemand hier hat so ein Haus wie wir, aus Ziegelsteinen. Hier gibt es sonst nur Lehmhäuser. Wenn ich wegen des Babys unsere Vereinssitzungen nicht leiten kann, dann vertritt mein Mann mich dort. Auch, dass er mich so unterstützt, macht mich unabhängig. 12 ZWEI2022

Vahatra bedeutet Wurzel „Vahatra“ bedeutet Wurzel und damit ist die Philosophie der Organisation schon benannt: Sie will das Leben auf dem Land in Madagaskar von unten verbessern, indem sie vor allem Frauen in der Landwirtschaft fördert und ihnen dabei hilft, mit dem, was sie haben, zu wirtschaften. Vahatra unterstützt die Leute dabei, Obst- und Gemüsesorten zu kultivieren, Vorräte in Getreidesilos oder Reisbanken für die nächste Dürre anzulegen, bessere Kochstellen zu errichten, Tiere für die Zucht zu impfen, mit Hygienemaßnahmen Krankheiten zu bekämpfen und Baumschulen gegen die Erosion und Verödung des Bodens zu pflanzen. 1.800 bäuerliche Haushalte in 75 Dörfern, also etwas über 10.000 Personen, können auf diese Weise ihre Ernährung dauerhaft sichern und verbessern. Außerdem begleitet Vahatra besonders Bäuerinnen dabei, ein Zertifikat für ihr Land zu erwerben. Fast 50.000 solcher verbriefter Landrechte will Vahatra für die Menschen auf dem Land in den nächsten Jahren erwirken. strich die Innenräume. Vor Kurzem ist die fünfköpfige Familie in das erste fertige Zimmer gezogen, am Rest wird noch gearbeitet. Alles in kleinen Schritten, aber immerhin voran. „Die Frauen nehmen das bisschen, was sie haben, in die Hand und machen etwas daraus“, so erklärt Schwester Modestine die Philosophie der Dorfvereine. „Mit kleinen Dingen lässt sich so viel erreichen, viel mehr als mit großen Gesten oder Geld“, davon ist die Ordensfrau überzeugt. Und viel anderes bleibt den Bäuerinnen auch kaum übrig, als sich mit dem selbst zu behelfen, was da ist. Die Kinder machen es vor: Ihr Fußball besteht aus fest verschnürten Müllresten. Mit großer Kreativität bauen sie sich aus einer Pflanze mit kugelrunden Blüten, die sich zu Achsen mit vier Rädern zusammenstecken lassen, ein Spielzeugauto. Die Kinder sind kreativ und bauen sich Fußbälle aus Müllresten und Spielzeugautos aus Pflanzenteilen Langfristig plant Ursule einen richtigen Bauernhof mit Landwirtschaft und der Zucht von Zebu- Rindern Die Ideen von Frauen sind absolut entscheidend dafür, dass die ganze Gemeinschaft voran- Ursule wird nie wieder zur Schule gehen können, das weiß sie. Sie hat mit 28 Jahren drei Kinder, für die sie sorgen muss, und das bedeutet harte Arbeit auf dem Land in einer Region, in der jedes zweite Kind mangelernährt ist. Die siebenjährige Tochter Chanya will deshalb niemals heiraten, sondern Ordensschwester an einer Schule werden, erzählt Ursule: „weil es dann immer Mittagessen gibt, wenn sie wie ihre Lehrerin Kinder unterrichtet.“ Aber: Ursule ist niemand, die sich leicht desillusionieren lässt, nur weil ihr Kindheitstraum in unerreichbare Ferne gerückt ist. Im Gegenteil ist diese Enttäuschung ihr Antrieb: Wenn Ursule sich heute, als Erwachsene, etwas vornimmt, dann hält sie umso beharrlicher daran fest. Die junge Frau hat jetzt neue Ziele, einen festen Willen und viele kommt gute Ideen. Sie will nie wieder so abhängig sein, dass sie mit den Entscheidungen anderer leben muss. Mit dem Stück Land um das Haus herum hat Ursule große Pläne: „Alles soll grün werden, wir wollen einen Bauernhof. Dann kommen vielleicht auch die Vögel zurück.“ Das Dorf und die hügelige Landschaft waren einst üppig bewaldet. Doch die Dorfbevölkerung rodete Baum um Baum, um das Holz als Brennstoff in der Stadt zu verkaufen. Vögel lassen sich dort kaum noch blicken. Heute pfeift der Wind über das öde Land. Kleine Staubwölkchen wirbeln auf und legen sich als feiner Film auf das Grün der Pflanzen, sodass die Farben der Umgebung durch einen unmerklichen Grauton gedämpft erscheinen. ZWEI2022 13

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