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frings. Das Misereor-Magazin 2/2022: Mut finden.

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Mut finden: Ein Heft über das Hinfallen, Aufstehen und Weitermachen. www.misereor.de/magazin

gleitet. Und so weiß

gleitet. Und so weiß Samaké nicht, welche ihrer Freundinnen ebenfalls verstümmelt sind. Wahrscheinlich die meisten, aber sie sprechen nicht darüber. Genau deshalb ist Samaké hier. Sie will reden. Im Interview mit „frings“. Bei Dorfversammlungen. In Schulen. Kurz: ein Bewusstsein für die Gefahren wecken. „Das muss aufhören“, sagt sie. Der Fall der Tagnè-Aktivistin ist besonders grausam, weil die Tradition gegen den Willen der Eltern vollzogen wurde – ein ungewöhnlicher Vorgang. Ihre Mutter ging zur Polizei, doch die Nachbarin blieb ungestraft. Verwandte hatten zu ihrem Gunsten interveniert. Sie „Ich werde nicht ruhen, bis es in Mali keine Genitalverstümmelungen mehr gibt“ Fatoumata Bagayoko kreiert in Bamako als Tänzerin und Aktivistin Stücke zur Aufklärung über Genitalverstümmelung habe ja keine bösen Absichten gehabt, so die einhellige Meinung. „Andere Kinder hätten dich gehänselt“, hat sich die Frau gegenüber Samaké gerechtfertigt. Es gehöre sich nun mal so, dass Mädchen beschnitten sind. Letztlich aber ist die Gefahr für alle von Genitalverstümmelung betroffenen Frauen hoch. Schon bei dem Prozedere selbst kommt es bisweilen zu Infektionen, die manchmal sogar zum Tod führen. Langfristige Komplikationen sind sogar traurige Normalität, erzählt Sissoko Modi, ein Arzt im Krankenhaus von Kati. Täglich behandelt er Frauen wegen Problemen beim Urinieren oder der Menstruation, vaginalen Fisteln und anderen Beschwerden nach Schwangerschaften. Agnès Niaré kämpft seit Jahrzehnten gegen diese irrsinnige Tradition an. Mit neun war sie selbst verstümmelt worden. Sie solle nicht weinen, hatten ihr die Verwandten da- 32 ZWEI2022

Seit sechs Jahren ist in Gôrô kein Mädchen mehr verstümmelt worden Tenimba Coulibaly von Tagné beim Beuch des Dorfs Gôrô, in dem Genitalverstümmelung mittlerweile verboten ist mals gesagt, Tapferkeit beweisen. Niarè schrie drei Tage lang. Danach aber akzeptierte sie ihr Schicksal und das der unzähligen anderen Frauen schweigend. „Ich dachte, das ist halt Teil des Lebens“, sagt die charismatische Frau. Erst als eine Schwester ihr Bilder von Patientinnen zeigt, beschließt sie aktiv zu werden. Und gründet „Tagnè“. Seit dem Jahr 2000 bestreitet sie diese Herkulesaufgabe gegen alle Widerstände. Anfangs hatte sie nur wenige Frauen an ihrer Seite. Niaré sprach im Radio über die Verstümmelungen. Eine Live-Sendung. Als sie das Gebäude verlassen wollte, hatte sich dort ein Dutzend aufgebrachter Frauen versammelt. Wie sie es wagen könne, die Tradition infrage zu stellen. Erst als die Polizei kam, konnte die resolute Aktivistin nach Hause gehen. Inzwischen bleiben immerhin derartige Feindseligkeiten die Ausnahme. Die Organisation ist auf 56 Mitarbeiter*innen angewachsen und übt Druck auf Politiker aus, bringt verletzte Frauen und Mädchen zu Spezialisten*innen, zeigt Mit anschaulichen Modellen aus Holz verdeutlichet Tagné bei den Feldbesuchen die Folgen von Genitalverstümmelung Filme und Theaterstücke zum Thema, produziert Radioprogramme. „Ich werde nicht ruhen, bis es in Mali keine Genitalverstümmelungen mehr gibt“, sagt Niaré. Sie ist jetzt 60 und wird diesen Tag noch erleben, da glaubt sie fest dran: „Mit großer gemeinsamer Anstrengung schaffen wir das in zehn Jahren.“ Sie ist eine Optimistin. Doch in Teilen der Städte Kati und Bamako ist das tatsächlich gelungen. Auch in 54 Dörfern wurden entsprechende Vereinbarungen erzielt. Es gibt weitere Organisationen in diesem Bereich, insgesamt haben 200 malische Dörfer offiziell von der Praxis Abstand genommen. Ein Erfolg. Doch in Mali gibt es 12.000 Dörfer, über die Hälfte der Bevölkerung lebt in ländlichen Gegenden. „Wenn ich könnte, würde ich in jedes einzelne Dorf Leute schicken“, sagt Niaré. Das kann sie natürlich nicht, aber jede Siedlung zählt. Eine halbe Stunde Fahrt ist es von Kati in das Dorf Gôrô. Als die Tagnè-Leute hier vor zehn Jahren mit der Arbeit begannen, benutzten sie das Wort Verstümmelung nicht. Erst einmal Vertrauen aufbauen, Gelegenheiten zu Gesprächen schaffen – und sei es bei einem Fußballturnier. Man redete allgemein über die Gesundheit von Frauen, be-sonders bei Schwangerschaften. Nach ein paar Monaten sprachen die Frauen dann unaufgefordert über die Folgen der Verstümmelungen. Noch ein Jahr verging, da drängten sie die Männer zu einer Debatte. Es waren hitzige Gespräche, mit Widerstand von Traditionalisten*innen. Am Ende, vier Jahre nach dem ersten Kontakt mit der Organisation, unterschrieben die Dorfvorsteher die Vereinbarung zur Abschaffung. Ein zähes Unterfangen. Doch seit sechs Jahren ist in Gôrô kein Mädchen mehr verstümmelt worden – und so blieben die zuletzt geborenen Babies in der Großfamilie Coulibaly ZWEI2022 33

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