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frings. Das Misereor-Magazin 2/2023: Fair ist mehr.

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Fair ist mehr. Ein Heft über Energie und Gerechtigkeit. www.misereor.de/magazin

Das

Das Mobiltelefon ist ihre wichtigste Waffe im Kampf gegen den Klimawandel Von dort aus engagiert sie sich auch ein bis zwei Tage in der Woche für ihre Initiative „Klimagerechtigkeit in Afrika“. Sie bringt jungen Frauen und Mädchen in den Armenvierteln Kampalas bei, wie sie auf ihren Hausdächern oder Vorgärten in alten Plastikbehältern kleine Gemüsegärten anlegen können, um ihre Familien damit zu versorgen oder die Erträge auf dem Markt zu verkaufen. Erst kürzlich pflanzte sie gemeinsam mit ihren Mitstreiter*innen in den Vierteln Hunderte Mango-, Avocado- und Papaya-Bäume. „Diese Bäume sind nicht nur gut für das Klima, sondern werfen auch Früchte ab, die man direkt essen kann und die noch dazu gesund sind.“ Die Idee, sich der internationalen Klimabewegung „Fridays for Future“ anzuschließen, hatte sie im Sommer 2019, erzählt Kobusingye. Damals schien in Uganda die Sonne so heiß, dass die Ernte in den frisch angelegten Stadtgärten überall einging. „Das hat mich sehr beschäftigt und nicht mehr losgelassen“, sagt sie und erzählt, dass sie sich bei jeder neuen Hitzebotschaft ausrechnete, wie vielen Eltern dadurch das Geld für Schulgebühren fehlen würde. Bei zahlreichen Demonstrationen in Kampala werden Ugandas Aktivist*innen von der Polizei brutal misshandelt Auf dem Handy hat Hamira Kobunsingye zahlreiche Protestaktionen dokumentiert Als im Frühjahr 2020 Ugandas Regierung aufgrund der Corona-Pandemie einen kompletten Lockdown verhängte und die Stadtgärten für viele Frauen und Kinder in den Armenvierteln zum wichtigsten Einkommensfaktor wurden, fing sie an, zu extremen Wetterereignissen zu recherchieren, um zu verstehen, wieso die Ernte im Vorjahr so gering ausgefallen war. „Da stieß ich auf das Problem der Klimaerwärmung.“ Sie entschied, einen Twitter-Account zu eröffnen und eine Kampagne für eine Klimawende zu starten. „Am Anfang war ich alleine“, sagt sie, „das deprimierte mich sehr. Deswegen schloss ich mich Fridays for Future an, fing an, neue Aktivistinnen und Aktivisten zu gewinnen und zeigte ihnen, wie man Aktionen plant und durchführt.“ Kobusingyes Mobiltelefon ist seitdem ihre wichtigste Waffe, und es steht niemals still. Stetig piepst und blinkt es. In ihrer Fotosammlung auf dem Handy hat sie zahlreiche ihrer Protestaktionen auf Kampalas geschäftigen Straßen dokumentiert, an denen sie in den vergangenen Jahren teilgenommen hat. Das ostafrikanische Land ist vom Klimawandel stark betroffen: Überschwemmungen durch Starkregen, Erdrutsche, dazwischen lange heiße Trockenzeiten, die die Ernten eingehen lassen und damit steigende Lebensmittelpreise zur Folge haben. „All das führt in Uganda dazu, dass die finanziellen Mittel schrumpfen, und wenn diese schrumpfen, werden Mädchen seltener zur Schule geschickt, was bedeutet, dass sie in der Regel früher schwanger werden“, zählt Kobusingye die Konsequenzen der Klimakrise für Bildung und Lebensgestaltung insbesondere von Mädchen und jungen Frauen auf. Im vergangenen Jahr hat sich ihr Aktivismus allerdings stark verändert. Seitdem auch die Klimabewegung in Europa gegen die geplante Ölpipeline EACOP (Ostafrikanische Rohölpipeline) vorgeht, die längste beheizte Ölpipeline der Welt, die von Ugandas Ölfeldern über 1.400 Kilometer bis zum Indischen Ozean an der Küste Tansanias verlegt wer- 32 ZWEI2023

Ihre Firma verwaltet Hamira Kobunsingye bis heute vom Küchentisch ihrer Mutter aus den soll, geht Ugandas zunehmend autokratisches Regime brutal gegen Klimaaktivistinnen wie Kobusingye vor. Bei zahlreichen Demonstrationen in Kampala wurden Ugandas Aktivist*innen von der Polizei brutal misshandelt, festgenommen, mehreren Umweltschutzorganisationen wurde die Lizenz entzogen. Dieses radikale und gewalttätige Vorgehen zeige, so Kobusingye, „dass wir einen wirklich guten Job gemacht haben als aktive Bürgerinnen und Bürger von Uganda. Wir haben erreicht, dass die Klimabewegung mittlerweile weltweit über diese Pipeline spricht“, freut sie sich. Doch sie muss auch zugeben, dass sie und ihre Mitstreiter*innen in Uganda selbst nun vorsichtiger sein müssen, um nicht im Gefängnis zu landen: „Deswegen pflanze ich jetzt lieber überall Bäume, statt auf den Hauptstraßen zu protestieren“, sagt sie und grinst. Preis als Ermutigung Der Bremer Solidaritätspreis wird seit dem Jahr 1988 alle zwei Jahre vom Senat der Freien Hansestadt Bremen verliehen. Er ist mit einem Preisgeld in Höhe von 10.000 Euro dotiert. Thema der aktuellen Ausschreibung des 18. Preises ist der menschengemachte Klimawandel als eine der zentralen ethisch-politischen Herausforderungen der Menschheit. INTERVIEW „Mit Ideen mache ich den Leuten Mut“ Hamira Kobusingye über ihre Lernkurve als Aktivistin und was sie als nächstes plant Interview: Simone Schlindwein Welche Hürden gibt es für Aktivist*innen in Uganda? Fehlende Bildung und Information sind eine große Hürde. Es geht darum, die einfachen Leute zu erreichen und sie mit klaren und verständlichen Worten aufzuklären über Klimakrise und Gesundheitsprobleme und wie sehr diese Themen zusammenhängen. Denn nur diejenigen, die informiert sind, haben die Macht, etwas zu ändern. In meinen Projekten mache ich die Erfahrung, dass es viel fruchtbarer ist, mit Ideen für Lösungen zu kommen, statt immer nur die Probleme aufzuzeigen. Das macht den Leuten Mut. Früher habe ich vor allem den Teufel an die Wand gemalt und alles schlecht geredet. Das hat die Leute, die ich eigentlich erreichen und anspornen wollte, verunsichert und verängstigt. Zu Beginn dieses Jahres habe ich entschieden, den Fokus verstärkt auf konstruktive Lösungsansätze zu lenken. Seitdem ich mit diesen Ansätzen zu den Leuten gehe, kann ich sie mehr begeistern. Wir packen jetzt die Probleme an und tun etwas, statt uns nur wie gelähmt zu fühlen. Und was packen Sie als nächstes an? Ich möchte meine Projekte auf stabile und nachhaltige Beine stellen. Das heißt, ich werde meine Initiative „Klimagerechtigkeit Afrika“ in Uganda als Nichtregierungsorganisation offiziell registrieren lassen, Mitarbeiter*innen einstellen, ein Konto eröffnen, einen Computer kaufen. Dazu fehlten mir bislang die Mittel und die Expertise. Jetzt kann ich mir das leisten und auch professionelle Beratung suchen, wie ich eine Nichtregierungsorganisation am besten leite. Immerhin, ich habe schon ein passendes Logo und eine Internetseite. Was raten Sie jungen Menschen, die überlegen, aktiv zu werden? Sie müssen keine Aktivist*innen sein, sie müssen nicht die ganze Zeit ein Banner hochhalten oder ein T-Shirt mit einer Botschaft tragen. Aber sie sollten etwas tun! Jeder Beitrag, wirklich jeder, trägt zu einer größeren Lösung bei. Und wenn es für den Anfang nur eine Einkaufstasche aus Baumwolle ist, um Plastiktüten zu vermeiden. Simone Schlindwein, Jahrgang 1980, lebt und arbeitet als freie Korrespondentin seit 2008 in der Region der Großen Seen, vor allem in Uganda, Ruanda und der Demokratischen Republik Kongo. Zuvor war sie von 2006 bis 2008 unter anderem Moskau- Korrespondentin des Spiegel. Sie schreibt vor allem für die tageszeitung in Berlin und produziert Reportagen für die deutschen und österreichischen Radiosender. ZWEI2023 33

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