KOLUMNE Auch unser persönlicher Energiehaushalt steht unter Druck. Manchmal wünscht sich frings-Kolumnistin Anne Lemhöfer mehr erneuerbare Energien auch für sich selbst. Illustration von Kat Menschik Alle reden jetzt über Solarpanels auf dem Balkon. Wir haben zwar keinen Balkon, aber dafür eine kleine Terrasse, und der Vermieter ist ganz aufgeschlossen für die Idee. Das mit dem Stromsparen haben wir im vergangenen Jahr nochmal intensiviert, es wurde ein kleiner Wettstreit daraus, wer es schafft, noch weniger zu verbrauchen als die anderen. Unsere Jüngste erfand etwa die Challenge, den Kühlschrank immer besonders schnell auf und wieder zuzumachen. Wir waren nicht völlig erfolglos, wie sich an der neuesten Abrechnung zeigte. Manchmal wünsche ich mir allerdings nicht nur mehr erneuerbare Energien für den Planeten, sondern auch für mich selbst. Ein T-Shirt aus Solarpanels? Ein kleines Windrad, das mir Kraft am Schreibtisch zufächelt oder eine Wärmepumpe am Sofa, damit die persönlichen Akkus beim Netflix- Schauen tatsächlich aufgeladen werden: Das wäre doch für den Anfang schon mal nicht schlecht. Die Zwangspause, die einst von der Pandemie über unseren Alltag gestülpt wurde, scheint so schnell vorbei, wie sie gekommen war, gerade als alle dachten: Ach, hat doch was, so ein bisschen Entschleunigung. Schneller, als wir die Trainingshosen vor dem Rechner wieder ausziehen konnten, landeten im Frühjahr die freundlich, aber bestimmt formulierten Mails der Chefinnen und Chefs in unseren elektronischen Postfächern: „Willkommen zurück im Büro!“ Also wieder: Pendlerstau auf den Autobahnen, stundenlange Meetings, Stehempfänge und ausgehängte Listen für die Abteilungsweihnachtsfeier. Torten für runde Geburtstage werden aufwändiger denn je gestaltet, die Hochzeiten gefühlt immer pompöser, die Wohnung muss so aufgeräumt aussehen, dass wir jederzeit ein Foto auf Instagram posten könnten. Wer soll das denn alles machen? Und vor allem wann? Und warum können wir nicht einfach mal gemütlich einem der vielen Podcasts zuhören, die wir uns vorgemerkt haben? Ach so, stimmt ja: Das geht natürlich auch beim Joggen. Oder im Fitnessstudio. Vielleicht auch im 42 ZWEI2023
Autoradio, auf der Fahrt zur Gesamtkonferenz des Schulelternbeirats, die endlich wieder live und in Farbe stattfindet. Aber warum muss es eigentlich immer so viel und noch mehr sein, was unsere Terminkalender verstopft? Warum darf es da keine weißen Flecken geben, egal ob wir fünf oder 55 Jahre alt sind? Was soll dieser Optimierungswahn vom Design des Nachttischs bis zur Performance im Job, vom Körpergewicht bis zur Zahl der Ehrenämter? Wer soll das alles hinkriegen, wenn nicht bald jemand Solarenergie für unterwegs erfindet? Sei vorsichtig mit deinen Wünschen, sie könnten wahr werden: Es ist plötzlich wieder normal, sich im Stress zu fühlen und ständig davon zu reden, dass wir dringend „unsere Akkus aufladen“ und „Energie tanken“ müssen. Oh, da kommt die Doodle- Liste zwecks Terminfindung für die neue Sportgruppe, die eine Freundin organisiert hat. Mit anschließendem Essengehen. Und dann folgt Nachricht auf Nachricht. „Merkt euch schon mal unseren Advents-Brunch vor!“, „Begleiteltern für den Klassenausflug gesucht!“, „Wir feiern Einweihungsparty!“ Sogar die Kirchengemeinde lädt zur Halloweenfeier. Freizeitstress schlaucht und zieht Energie, die dann für die eigenen Bedürfnisse fehlt. Einfach in die Dämmerung schauen, ein Buch lesen, einen Rotwein bei Kerzenschein trinken, ein Brot essen oder ein Bad nehmen: Keine Zeit. Termine und ein soziales Leben, das schien für einen Wimpernschlag so weit weg wie eine dauerhafte Lösung des Nahostkonflikts. Andererseits: War es in all den Telefon- oder Video-Gesprächen, die wir in den Lockdown-Monaten geführt haben, nicht immer wieder Thema, dass wir den Alltag eigentlich auch ohne Virus etwas weniger hektisch führen könnten? Ohne den Druck, ständig etwas unternehmen zu müssen. Davon spricht längst niemand mehr. Dabei wünsche ich mir gerade sehr, einen Mittelweg zu finden zwischen sozialem Zuviel und sozialem Zuwenig. Es wäre schöner als ständig die „Akku“-Metapher zu verwenden, als wären wir alle Maschinen. Nicht nur im Büro, sondern auch in der Freizeit. Wie war das mit dem Energiesparen? Der sogenannte Freizeit-Monitor erfasst das Freizeitverhalten der Deutschen seit 1982. Seit der Pandemie sehen die Forschenden eine deutliche Stress-Steigerung im Bereich der Lebensplanung. Grund dafür sei auch, dass wir durch die sozialen Medien angespannter seien. Dabei hätte das persönliche Energiesparen doch eigentlich nur Vorteile: Das Auto bliebe öfter stehen und der Thermomix ausgeschaltet, weil er nicht jedes Wochenende Dattel-Dips für irgendein Fest zusammenrühren müsste. Vielleicht würden wir dann sogar wieder merken, wo sie eigentlich herkommt, unsere Lebensenergie. Und das regenerieren auch mal bedeuten kann, nichts zu tun und einfach abzuwarten, was dann passiert. Kat Menschik arbeitet bereits seit 1999 als freiberufliche Illustratorin in Berlin. Die studierte Kommunikationsdesignerin zeichnet für Zeitungen, Magazine und Buchverlage, unter anderem für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Seit 2016 veröffentlicht Kat Menschik mit „Klassiker der Weltliteratur“ ihre eigene Buchreihe im Berliner Galiani-Verlag. Kat Menschik illustrierte Bücher von Enn Vetemaa und Haruki Murakami. ZWEI2023 43
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